Benjamin Uhlendorfs Jobtitel lautet seit dem 1. November 2020 „stellvertretender Bereichsleiter SPNV-Planung und -Betrieb“. Zuvor arbeitete er bei abellio als Betriebsplaner und lernte dort einige Jahre die andere Seite der Planung kennen. Er betreute dort die S-Bahn Rhein Ruhr und setzte die Bestellung des Aufgabenträgers VRR betrieblich um. In seiner jetzigen Position als Planer beim Aufgabenträger selbst, dem NVR, betreut er ein wesentlich größeres, heterogenes Netz. „Bei abellio war ich zuständig für meine sechs Linien. Jetzt betreue ich mit der Region Köln eine Metropole des Bahnverkehrs, Knotenpunkte in Aachen und Bonn, das sind verkehrstechnisch große Hotspots, die bereits jetzt an der Kapazitätsgrenze liegen. Dazu kommen die sehr interessanten Verkehre in der Eifel, die wieder komplett anders aufgebaut sind. Ich habe hier beim NVR also sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten und das macht meinen Job so interessant.“ Auch wir finden das, was Uhlendorf täglich leistet, spannend und haben ihm daher unsere Fragen rund um alle Themen, die mit einer Fahrplan- und Angebotsplanung im SPNV zusammenhängen gestellt und mit ihm über seine Arbeit und Aufgaben gesprochen.

Benjamin Uhlendorf

Stellvertretender Bereichsleiter SPNV-Planung beim NVR

„Alles, was mit dem Fahrplan zusammenhängt, läuft über unseren Schreibtisch. Von Visionen für das Jahr 2050 bis zur kurzfristigen Sperrung.“

Benjamin Uhlendorf bearbeitet in seiner Position beim NVR alle Themen, die mit der Fahrplan- und der Angebotsplanung zu tun haben. Dabei lässt sich seine Arbeit in drei Bereiche gliedern: Die langfristige, mittelfristige und kurzfristige Planung.

Die kurzfristige Planung – Von Fahrplanwünschen für das Folgejahr bis zu Baustellen-Konzepten

In der kurzfristigen Planung bereiten Uhlendorf und sein Team den nächsten Jahresplan vor. „Linien werden vom Aufgabenträger im Wettbewerbsverfahren an die Verkehrsunternehmen vergeben. Da sind wir auf der Schiene mittlerweile ziemlich bunt aufgestellt. Wir vergeben nicht nur an die DB Regio, auch private Eisenbahnverkehrsunternehmen, wie abellio oder National Express nehmen am Wettbewerbsverfahren teil.“ Aktuell beschäftigt sich Uhlendorf mit den Fahrplanwünschen für das Fahrplanjahr 2022 – beginnend ab Dezember 2021 – die die Eisenbahnverkehrsunternehmen bei der DB Netz, dem Infrastruktur-Betreiber, anmelden. Zuvor müssen Uhlendorf und sein Team jedoch die Wünsche des NVR mit den EVU abstimmen. „Das stimmen wir mit den Eisenbahnverkehrsunternehmen ab und geben so vor, was sie wiederum bestellen müssen. Unsere Vorstellungen stimmen wir natürlich mit politischen Gremien ab, immer vor dem Hintergrund, was der NVR sich auch finanziell leisten kann. Aktuell kann coronabedingt nicht alles umgesetzt werden, was wir uns vorgestellt haben, dazu waren die Einnahmeeinbußen zu hoch. Natürlich gab es kurzfristige Rettungsschirme, aber eine Leistung, die 2022 eingeführt wird, muss ja auch langfristig finanziert sein. Da müssen wir natürlich sicherstellen, dass die Finanzierung gesichert ist.“
Ein weiterer Aspekt der kurzfristigen Planung: Baustellen. „Die DB Netz meldet uns Sperrpausen, um Strecken auszubauen oder in Stand zu bringen. Wir müssen dann wiederum den Eisenbahnverkehrsunternehmen mitteilen, wann, wo und wie Sperrungen auftreten. Verkehrsvertraglich sind unsere EVU dann auf Basis dieser Information dazu verpflichtet, sich ein Ersatzkonzept zu überlegen und dieses bei uns zur Prüfung und Freigabe vorzulegen.“ Uhlendorfs Aufgabe ist die Prüfung dieser Konzepte. Er bewertet, wann es Sinn macht, einen Schienenersatzverkehr einzurichten und, ob alle Leistungen adäquat ersetzt werden. „Manchmal hängen da auch noch verkehrsvertragliche Abrechnungsfragen dran. Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen kann ja nichts dafür, wenn der Netzbetreiber auf der Strecke bauen möchte. Dann müssen wir regeln, dass auf sogenannte Verspätungszahlungen verzichtet wird.

Die mittelfristige Planung – Fahrpläne für Verkehrsausschreibungen

Die mittelfristige Planung umfasst die Fahrpläne, die Uhlendorf im Zuge von Verkehrsausschreibungen anlegen muss. „Im SPNV werden Verkehre ausgeschrieben, Direktvergaben, wie früher üblich, gibt es nicht mehr. Es müssen vernünftige Preise und Vergabeverfahren vorbereitet werden, um ein Verkehrsunternehmen mit einem Betriebsprogramm beauftragen zu können.“ Für die organisatorische Abwicklung solch einer Ausschreibung sind Uhlendorfs Kollegen aus dem Bereich „Wettbewerb“ verantwortlich. Doch den fachlichen Input gibt sein Team. „Unsere Aufgabe ist es, den Ausschreibungsfahrplan zu gestalten.“ Für den Zeitraum des Fahrplanjahrs 2026 bereitet der NVR zurzeit zum Beispiel die Vergabe der euregiobahn für eine Laufzeit von 15 Jahren vor. „Das muss ich vorbereiten und mir Gedanken machen, wie das Betriebsprogramm darin aussehen kann. Einmal zu Beginn, aber auch dazu, wie es sich in den nächsten 15 Jahren entwickeln kann. Gerade als Auftraggeber muss man natürlich alle Klauseln im Blick haben, wenn man gegebenenfalls über die Laufzeit Leistungen ausweiten möchte.“ Im Falle der euregiobahn hofft der NVR, zum Start des neuen Wettbewerbsverfahrens (Ende 2025) alle Streckenabschnitte elektrifiziert zu haben und in diesem Zuge natürlich auch ganz andere Fahrzeuge einsetzen zu können. „Elektrische Fahrzeuge sind deutlich leistungsstärker als Dieselfahrzeuge – das heißt, wir können in einem solchen Fall schnellere Fahrzeiten realisieren. In diesem Zuge kann man sich auch Gedanken darüber machen, an welchen Stellen die Errichtung neuer Haltepunkte oder Bahnhöfe Sinn machen würde.“ In der mittelfristigen Planung bewerten und analysieren Uhlendorf und sein Team demnach konkrete zukünftige Fahrzeiten, Knotenpunkte und Anschlüsse. „Das alles läuft natürlich Hand in Hand mit der langfristigen Planung“, erklärt Uhlendorf. „Bei der euregiobahn gibt es zum Beispiel mindestens zwei interessante Reaktivierungsstrecken, eine davon läuft von der Stolberger Altstadt weiter nach Breinig und von dort bis nach Eupen in Belgien. Die andere geht von Alsdorf nach Baesweiler. Für diese beiden Strecken geben wir dann sogenannte Machbarkeitsstudien in Auftrag, um den Status quo zu evaluieren. Das zeigt uns dann, welche Infrastruktur noch vorhanden ist, wie die Bebauung entlang der Trasse aussieht und wie die örtlichen Gegebenheiten sind. Auf dieser Basis können wir planen, was getan werden müsste, um die Strecke wieder in Betrieb zu nehmen.“ Externe Gutachter kalkulieren zudem, wie viele Fahrgäste wir auf der reaktivierten Strecke erreichen würden und wie viel CO2 eingespart werden kann. Im Rahmen einer standardisierten Bewertung werden alle Faktoren gegeneinander verrechnet, ist der Nutzen- Kosten-Faktor größer als eins, lohnt sich das Projekt. „Die Studien führen externe Gutachter durch. Das ist auch wichtig hinsichtlich des Unabhängigkeitsgedankens gegenüber der Politik. Aber wir machen die Vorgaben, was untersucht werden soll und bewerten fachlich die Ergebnisse. Zur mittelfristigen Planung gehört dann – bei der Entscheidung zur Reaktivierung – die Planung möglicher Fahrzeiten und Taktungen.“

Die langfristige Planung – Visionen für die Schiene der Zukunft

Die langfristige Planung beantwortet die Frage, wie der SPNV in Zukunft aussehen soll. „Dazu stellen wir uns die Frage, welches Zielnetz uns 2030, 2040 und sogar 2050 vorschwebt. Auch wenn das noch viele Jahre hin ist – darüber machen wir uns aktuell bereits Gedanken, denn gewisse Verkehrsbedürfnisse hängen mit massiven infrastrukturellen Ausbauten zusammen“, erklärt Uhlendorf. Deswegen müssen er und seine Kollegen sich bereits heute die Frage stellen, wie die Verkehrsbedürfnisse – auch hinsichtlich globaler Megatrends, wie einer Verkehrswende, und daraus resultierenden politischen Anforderungen – der Zukunft aussehen. „Um das Angebot entsprechend weiterentwickeln zu können, müssen wir uns mit so großem Vorlauf bereits Gedanken dazu machen. Wir legen dann natürlich noch keine Taktungen fest, aber wir überlegen zum Beispiel, welche Orte neu erschlossen werden müssten, um bestimmten Visionen zu folgen.“ Ein konkretes Beispiel im AVV kann er dazu bereits nennen. „Der Schienenweg zwischen Stolberg und Aachen West ist überlastet. Auf dieser Strecke könnte kein einziger Zug mehr vernünftig aufgenommen werden, da die Kapazitäten dazu nicht mehr ausreichen. Wenn wir aber langfristig Leistungen aufnehmen und Taktungen verdichten wollen, dann geht das nur mit einem massiven Ausbau der Infrastruktur und dazu bedarf es einer langfristigen Perspektive.“

Benjamin Uhlendorf fasst zusammen: „Alles, was mit dem Fahrplan zusammenhängt, läuft über unseren Schreibtisch. In vielen Facetten, in vielerlei Hinsicht. Von Visionen 2050 über eine kurzfristige Sperrung. Unsere Arbeit auf Planungsebene ist sehr breit gefächert.“

Was mir am meisten gefällt, ist, dass ich hier an einem deutlich größeren Rad drehen kann.“

Benjamin Uhlendorf

Die Erfahrungen, die Uhlendorf bei seinem vorherigen Arbeitgeber, dem Verkehrsunternehmen abellio, sammelte, helfen ihm bei seiner täglichen Arbeit. Er kennt auch die „andere Seite der Medaille“ und hat einen holistischen Blick auf die Planungsarbeit. „Doch was mir hier beim NVR am meisten gefällt ist, dass ich ein deutlich größeres Rad drehen kann, als bei einem Verkehrsunternehmen. Hier entwickle ich Ideen, wie der Verkehr in 20 bis 30 Jahren aussehen kann und habe die Chance, diese Ideen auch noch vernünftig aufzubereiten, sodass sie sich auch an politischen Vorstellungen orientieren und dann tatsächlich realisierbar sind.“ Er lacht und schließt ab: „Die Ideen von heute in ein paar Jahren zur Realität werden zu lassen, das ist doch ein netter Nebeneffekt, der die Motivation fördert.“ Was ihn außerdem antreibt? Die Herausforderung. „Bei der ÖPNV-Planung wird eine neue Linie geplant, die Infrastruktur für Busse ist zu diesem Zeitpunkt schon vorhanden. Bei der Straßen-, U-Bahn- und Schienenplanung muss die Infrastruktur erst noch geplant werden.“ Und der SPNV unterscheidet sich sogar in einem weiteren Faktor. „Beim SPNV muss ich zudem jeden Time-Slot verbindlich anmelden. Außerdem stehe ich in viel größerer Konkurrenz zu anderen Zugangsberechtigten, also dem Fern- und Güterverkehr.“

Gleichzeitig steht Uhlendorf vor der Herausforderung, sich mit allen relevanten Akteuren erfolgreich abzustimmen. „Es gibt verschiedene Eisenbahnverkehrsunternehmen im NVR. Ich muss zusehen, dass es zum Beispiel bei einer Baustelle ein einheitliches Konzept gibt. Dann gibt es im Aachener Raum grenzüberschreitende Linien, da müssen wir uns mit belgischen und niederländischen Verkehrsunternehmen und Infrastruktur-Betreibern abstimmen. Und on top gibt es nicht nur die DB Netz, sondern auch Strecken, die in privater Hand liegen. Die RB21 zwischen Düren und Linnich zum Beispiel, da gehört die Infrastruktur der Rurtalbahn.“ Und die Abstimmung geht noch eine Ebene weiter. Auch Politik, das Land NRW und einzelne Fahrgäste haben Interessen und teilen diese dem NVR mit. „Vor allem Fahrgasteingaben nehmen wir immer dankend an und bearbeiten diese auch. Insgesamt ergibt sich einfach ein sehr vielseitiges Spannungsfeld – das kann manchmal langatmig sein, doch am Ende ist diese Herausforderung, was mich antreibt und was meinen Job interessant macht.“

Zum Abschluss unseres Interviews fragen wir Benjamin Uhlendorf, wie sein Tag weitergeht. Er lacht. „Das ist jetzt ein schöner Zufall, denn meine drei Anschlusstermine bilden meinen Planungsalltag metaphorisch ganz gut ab. Auf mich warten jetzt Abstimmungstermin zu einer Baustelle – das zählt zur kurzfristigen Planung –, im Anschluss ein Termin mit der S-Bahn Köln zur Interimsvergabe, da wollen wir jetzt die Ausschreibung auf den Weg bringen – mittelfristige Planung – und darauf folgt ein Austauschtermin mit dem SPNV Nord, dem benachbarten Aufgabenträger in Rheinland-Pfalz, zur Zukunft des rechten Rheines – und der zählt zur langfristigen Planung.“ Wir verabschieden uns also von Uhlendorf mit dem Wissen, dass sowohl die anstehende Baustellenplanung, die Ausschreibung für die S-Bahn Köln als auch die Zukunft des rechten Rheines in guten und professionellen Händen liegen. 🙂