Die Fotos im Artikel sind aus Andre Pizaros Bilder-Archiv und von einem ASEAG-Mitarbeiter, dem Oberfahrschulmeister Josef Tümmers – seine Tochter Anita Schünemann hat uns diese für den Beitrag zur Verfügung gestellt. 

An der Zahl 1.288 Mitglieder sind es, die sich auf Facebook als „Freundinnen und Freunde der Aachener Straßenbahn“ sammeln. In der Gruppe „Die gute alte Aachener Straßenbahn“, die Andre Pizaro moderiert, kommen all die zusammen, die die Aachener Tram vielleicht noch kannten, sie lieben, sich mit Geschichten, Bildern und Filmen an sie erinnern wollen und – so steht es prominent in der Gruppenbeschreibung – gegen das Vergessen dieses faszinierenden Kapitels der Aachener Stadtgeschichte angehen wollen. Ein Ziel, dem sich auch Administrator und Leiter der Gruppe Andre Pizaro verschrieben hat. Auch er begeistert sich heute noch für das einst zweitgrößte „Kleinbahnnetz“ Deutschlands und für all seine Geschichten, die es damals schrieb. Wir haben den sympathischen Pizaro für euch getroffen.

„Das ist ein sehr zeitintensives Hobby.“

Bereits 2014 gründete Pizaros Freund Harald Frings auf Facebook die Gruppe „Die gute alte Aachener Straßenbahn“, leitete sie durch Posts und seine Moderation. Seit 2016 ist auch Pizaro Mitglied. Er beteiligt sich seither selbst mit regelmäßigen Beiträgen, teilte von Anfang an Teile seines umfangreichen Foto-Archivs mit der Gruppe. So wurde er nicht nur zu einem Freund von Harald Frings – online und offline – sondern auch zum Administrator. Er leitet nun die Gruppe, fast täglich postet er alte Fotos, die die Geschichte der Aachener Tram erzählen. Die Gruppe selbst besteht aus Bildern, die teilweise sogar aus dem späten 19. Jahrhundert stammen. „Je älter die Bilder, desto besser kommen sie bei unseren Gruppen-Mitgliedern an“, erzählt Pizaro. Auf die sehr zeitintensive Bildersuche begibt Pizaro sich meist selbst. Dazu recherchiert er entweder nach Fotos, die sich in Privat-Archiven von Menschen befinden oder kauft diese an – auf Ebay zum Beispiel. Manchmal hat er aber auch Glück. Ein Mitglied der Gruppe, Kerstin Vossen, kontaktierte Pizaro vor einigen Jahren. „Ihr Vater hatte bei der ASEAG gearbeitet, nach seinem Tod fand sie ein großes Bildarchiv vor. Zeitzeugnisse aus einer vergangenen Zeit. Statt die Bilder zu entsorgen oder sie ungesehen in einem Keller verschwinden zu lassen, ergriff sie die Initiative und stellte mir die Bilder zur Verfügung.“ Ein Stück Geschichte des Vaters lebt so in der Gruppe weiter. „Es geht nicht mehr nur darum, die Straßenbahn zu zeigen, sondern die Geschichten drum herum zu erzählen. Wer hat dort gewohnt, wer hat dort gearbeitet, wer kennt die abgebildete Person? Welche Erinnerungen verbinden die Leute mit der Straßenbahn?“, resümiert Pizaro. Ein Aachener Apotheker, Reiner Bimmermann, versorgt Pizaro zudem mit seltenen Schätzen aus seinem umfangreichen Bildarchiv. „Er selbst möchte in der Gruppe nichts posten. Aber er stellt mir oft seine tollen Fotos zur Verfügung. Er hat echt viele, da er sich für die Aachener Straßenbahn begeistert, sogar Bücher darüber veröffentlicht. Ich freue mich darüber, dass er seine Fotos mit Gleichgesinnten teilt. Und auf seine nächste Veröffentlichung dieses Jahr,“ erzählt er fröhlich.

Pizaro hofft, dass noch mehr Menschen in die Facebook-Gruppe eintreten, die Schätze wie Kerstin Vossen zu Hause hüten oder finden. „Meist wissen die Leute gar nicht, welche Schätze sie im Keller haben, wie wertvoll diese Fotos für uns sind. Nicht immer muss die Straßenbahn im Fokus der Fotos stehen. Manchmal sieht man sie im Hintergrund oder am Rand des Fotos. Aber auch das ist, was wir suchen. Wir sind darauf angewiesen, dass man uns unterstützt.“ Auch diejenigen, die Geschichten und Anekdoten rund um die Aachener Straßenbahn erzählen können, sind für Pizaro und seine Gruppe interessant und herzlich eingeladen, beizutreten. „Ich fände es schade, wenn berührende, witzige, dramatische Geschichten nicht zugänglich gemacht werden, wenn sie einfach verschwinden.“ Und so erinnern Pizaro und die Mitglieder der Gruppe sich täglich. „Denn was nützen Bilder, wenn sie alle schön sortiert in ihren Kisten lagern und keiner sie sieht? Ich möchte nicht wissen, wie viele wertvolle Bilder schon für immer verschwunden sind.“ Pizaro versucht, genau das mit dieser Gruppe zu verhindern.

„Meist wissen die Leute gar nicht, welche Schätze sie im Keller haben.“

„Die Aachener Straßenbahn war ja nicht unbedeutend.“

Bilder der Aachener Tram kauft Pizaro teilweise auch aus den Niederlanden oder den USA. Wir fragen verwundert nach. Pizaro erklärt es uns geduldig. „Menschen sind damals extra nach Aachen gereist, um die Straßenbahn zu fotografieren. Es handelte sich hier am Dreiländereck ja um eine sogenannte „Überlandlinie“ und um eines der größten Netze. Die Einstellung war dann irgendwann absehbar, immer mehr Linien wurden eingestellt. Da sind viele Leute nochmal nach Aachen gekommen, um Fotos zu schießen und so Zeitzeugnisse zu haben.“

Zweifelsohne: Die Aachener Straßenbahn war immer interessant, sie belebte das Stadtbild. Pizaro ergänzt: „Wenn man durch die Adalbertstraße ging, dann fuhr dort die Straßenbahn durch die Fußgängerzone. Das muss man sich mal vorstellen. Sie war überall im Stadtzentrum sehr präsent. Und mit der roten Lackierung schmückte sie dann teilweise auch noch eine sehr prägnante Farbe.“ Auch Pizaro selbst erinnert sich gerne zurück. „Ich kann mich noch an so vieles erinnern. Ich bin in Rothe Erde aufgewachsen. Da ist auch schonmal ein Wagen in der Kurve umgekippt. Als ich 7 oder 8 war, da bin ich mit meiner Mutter Richtung Rothe Erde gefahren. Am Adalbertsteinweg ging meine Mutter noch Blumen holen. Ich sollte an der Haltestelle warten. Auf der anderen Straßenseite stiegen gerade die Fahrgäste ein und aus. Dort war dann eine Weiche falsch gestellt, sodass die Bahn, die von unten kam, in die andere Bahn reinfuhr. Passiert ist zum Glück niemandem etwas – aber wenn du das als kleiner Junge siehst, das bleibt hängen.“

„Jedes Jahr an Weihnachten erhielt er daraufhin ein Geschenk-Körbchen.“


Doch zum Glück bringt Pizaro nicht nur Unfälle mit der Aachener Straßenbahn in Verbindung. Dank des Forums, das er und Harald Frings aufgebaut haben, erfahren sie auch andere Anekdoten. An einer Geschichte erfreut sich Pizaro ganz besonders. „Bei uns wurde mal eine tolle Geschichte gepostet. Ein Straßenbahnfahrer der ASEAG hatte in der Nachkriegszeit einmal die Tochter von Talbot gefahren. Sie hatte an dem Tag kein Geld dabei und er hat sie nicht stehen lassen, sondern kostenlos mit in die Stadt genommen. Er sagte dann zu ihr ‚Wenn eine Kontrolle kommt, dann sagen Sie einfach, Sie seien meine Frau‘. Die wiederum war so dankbar, dass sie anschließend Recherchen beging, um herauszufinden, wer dieser Fahrer war , um ihm ein „Dankes-Körbchen“ zu schicken. Daraus entwickelte sich eine Tradition zwischen den beiden: Jedes Jahr an Weihnachten erhielt der Fahrer daraufhin ein Geschenk-Körbchen von der Frau.“

Dass einige Menschen in der Gruppe auch persönliche Geschichten teilen, gefällt dem authentischen Pizaro besonders. „Der Vater eines Gruppen-Mitglieds hat die Mutter auch in der Straßenbahn kennengelernt. Solche Geschichten finden immer Platz bei uns.“ Einige Gruppenmitglieder fragen auch aktiv nach Bildern, weil Eltern oder Familienangehörige einmal bei der Straßenbahn gearbeitet haben. Sie können sich auf eine funktionierende Gruppendynamik verlassen. „Dann tragen alle ihr Bildmaterial zusammen. Ich selbst hatte zu diesem Anlass all meine Bilder von Fahrern und Mitarbeitern, die ich finden konnte, mit der Gruppe geteilt.“ Und siehe da: Der ein oder andere hat darauf tatsächlich einen Familienangehörigen erkannt.

„Ich habe schon als Kind in den Depots der Bahn gespielt.“

Zum Bild: TW 1002 war auf diesem Foto noch nagelneu, als er zu Personalschulungsfahrten am Kaiser-Friedrich-Park unterwegs mit einem Verbandsbeiwagen von Talbot war.

Pizaros Begeisterung für die Aachener Straßenbahn und ihre Geschichten ist in seiner Kindheit verwurzelt. Heute wohnt er zwar in Bonn, wuchs aber in Aachen auf. „1975 spielte ich selbst noch im Depot der Straßenbahn in der Oberstraße. Der wurde von der ASEAG übrigens damals als Zentralbetriebshof genutzt, bevor der Bushof eröffnet wurde.“ Im gleichen Jahr wurde die Tram eingestellt. Ein paar Wagen blieben vorerst in den Depots erhalten, doch als sie schließlich nach England verkauft wurden, musste Pizaro gänzlich Abschied nehmen. Doch die Erinnerungen bleiben. Nicht zuletzt dank der Facebook-Gruppe, in der sie aufrecht erhalten werden. Und nicht alles, was an die Straßenbahn erinnert, ist aus dem Stadtbild verschwunden. „Wenn ich heute durch Aachen spaziere, sehe ich immer noch die Haken an den Hausfassaden. Die haben viele Häuser heute noch. Wenn man weiß, wo die Straßenbahn entlang gefahren ist, erkennt man sie sehr schnell“, erklärt Pizaro.

Auch die Fotografie ist Pizaros Leidenschaft. „Ich komme aus der Werbung, habe früher für Agenturen gescoutet. Ich selber stehe aber lieber hinter der Kamera und möchte mich nicht narzisstisch irgendwo präsentieren“, schmunzelt er. Und wenn es nicht andere Leute sind, die er fotografiert, steht auch mal die Model-Straßenbahn im Spotlight. „Ich sammle die Modelle. Aber nur die von der Straßen-, nicht die der Eisenbahn. Das ist übersichtlicher, weil es immer einen bestimmten Fuhrpark und feste Strecken gibt.“ Wenn Pizaro seine Modelle in Szene setzt, wird er kreativ. Einfach nur das Modell abzulichten, das sei ihm zu langweilig. „Ich habe mir letztens den Gag erlaubt, Fotos von Aachen zu nehmen und die Modellwagen davor zu setzen. Das sieht zwar vielleicht etwas kitschig aus, aber es ist eine schöne Form, sie vor einer Aachener Kulisse zu präsentieren.“

„2030 wird die Aachener Straßenbahn 150 Jahre alt, da müssen wir etwas besonderes machen.“

Um in 9 Jahren den 150. Geburtstag der Aachener Tram zu feiern, hat Pizaro bereits eine Idee, denn auch für Straßenbahn-Museen begeistert er sich. „Ich war schon in vielen Museen, auch im Ausland, und finde es immer wieder interessant, sich die Sammlungen da anzuschauen. Es wäre doch schön, anlässlich des Jubiläums mit Mitgliedern der Gruppe auch ONLINE einmal zu connecten und nach Augsburg oder München in eines der Straßenbahn-Museen zu fahren. In Augsburg steht sogar ein Aachener Model der Buttertram. Die hieß so, weil die Leute damit damals nach dem Krieg nach Vaals fuhren, um Butter zu schmuggeln.“

Auf die kommenden Jahre freut Pizaro sich. Am meisten begeistern ihn neue Geschichten, Dinge, die er noch nicht wusste, Fotos, die er noch nicht kannte. „Ich finde es immer interessant, etwas Neues zu hören. Ich poste aber selber viel zu viel, dann kenne ich die Geschichte ja immer schon“, lacht er und schließt ab: „Aber die Community freut sich über jedes Bild. Über jede Geschichte der Aachener Fahrer, Familien und Menschen von damals. Und das ist es wert.“

Andre Pizarro und auch wir vom Aachener Verkehrsverbund sind immer auf der Suche nach Bildmaterial. Es schlummern bestimmt tausende Kisten mit alten Fotos rund um die Aachener Straßenbahn und den ÖPNV in den Kellern der Menschen. Die meisten wissen gar nicht davon. Schaut doch einmal in eure eigenen Foto-Kisten oder in die eurer Eltern & Großeltern! Wenn ihr Fotos findet, dann freuen wir uns, wenn ihr sie uns zusendet, damit wir und auch Andre Pizaro sie der Nachwelt zugänglich machen können.