Der Kaiserplatz – ein zentraler Ort, den wohl jeder Aachener kennt. Ein zentraler Verkehrsknotenpunkt für viele Buslinien. An den hochfrequentierten Haltestellen ringsrum steigen viele Fahrgäste ein, aus und um. Und viele Bürger der Stadt verbinden bestimmte Assoziationen mit ihm. Denn trotz royalen Namens, den der Platz dem Kaiser-Friedrich-Denkmal zu verdanken hat, wird er als sozialer Brenn- und bekannter Treffpunkt der offenen Drogenszene wahrgenommen. Das hat sich auch mit der Eröffnung des Aquis Plaza nicht geändert.

DAVID & LAURIDS

STREETWORKER / SOZIALARBEITER IM TRODDWAR

„Wir verstehen das Troddwar als Begegnungsstätte, als Plattform, wo Menschen sich begegnen können“


David

Wer genauer hinsieht, dem fällt inmitten dieses Platzes das „Troddwar“ (Öcher Platt für Bürgersteig) auf. Die szenennahe und offene Einrichtung der Suchthilfe Aachen, in die man beim Gang über den Kaiserplatz jederzeit einen Blick durch die offenen Fensterscheiben werfen kann, besteht aus einem Kontakt-Café und einer medizinischen Ambulanz.

Im Troddwar ist jeder Gast ab 18 Jahren willkommen. Grundvoraussetzungen, um die Einrichtung zu besuchen und ihre Angebote zu nutzen, gibt es keine. Neben dem Kontakt-Café und der medizinischen Ambulanz sind weitere soziale Angebote wie Streetwork oder ambulant betreutes Wohnen angesiedelt. Die beiden Sozialarbeiter David (31) und Laurids (27) sind seit mittlerweile 6 Jahren Teil des Teams und als Streetworker täglich auf Aachener Straßen unterwegs. Wir haben die beiden getroffen und mit ihnen über ihren Alltag auf der Straße und im Kontakt-Café am Kaiserplatz gesprochen.

Als wir zum Interview-Termin im Troddwar ankommen, stellen wir fest, dass es – entgegen unserer Erwartungen und auch einiger eingebrannter Vorurteile – ein ganz normales Café ist. Besonders durch den schön gestalteten und grün bepflanzten Außenbereich wirkt es einladend und transparent. David und Laurids bestätigen, dass das Team einen hohen Anspruch an das Café stellt – an die Optik, an den Kaffee und natürlich auch an das Essen.

Dieses wird jeden Tag liebevoll konzipiert und natürlich frisch zubereitet – an Weihnachten sogar in Form eines selbst gekochten 4-Gänge-Menüs. „Wir verstehen das Troddwar als Begegnungsstätte, als Plattform, auf der Menschen sich begegnen können“ – dieser Gedanke spiegelt sich in jedem Detail des bunten Cafés wider und ist durch die offene Fassade auch von außen für Passanten ersichtlich. Das Besondere am Kontakt-Café? Die Besucher zahlen für Essen und Trinken. Es sind kleine Preise; ein Kaffee kostet 40 Cent, eine warme Mahlzeit 1,80 Euro. Damit können die Einkaufskosten gedeckt und den Besuchern ein klares Signal gesendet werden: „Wir wollen unsere Besucher nicht entmündigen, denn alles kostet etwas in unserer Gesellschaft – und sie sind ein Teil davon! Wir wollen das System des Leistungsbezugs nicht weiter stützen, sondern unseren Besuchern wieder ein Stück weit Verantwortung übergeben.“ Von denen erwarten sie im Gegenzug, sich an bestimmte Hausregeln zu halten. Wer dealt oder Drogen konsumiert, dem wird Hausverbot erteilt, denn das ist im Kontakt-Café tabu. „Ansonsten erwarten wir von unseren Gästen, sich so zu verhalten, wie wir uns auch in einem Café benehmen würden.“

„Wir begegnen den Leuten auf Augenhöhe“

Davids und Laurids Alltag ist vielseitig. Tagsüber sind sie entweder im Café oder laufen in ihrer Funktion als Streetworker täglich bekannte Plätze ab, von denen sie wissen, dass die Szene dort anzutreffen ist. Hier stellen sie Kontakte her und versuchen diese aufrecht zu erhalten. Sie klären schwer drogenabhängige oder wohnungslose Menschen, die sie im Fachjargon ihre „Klienten“ nennen, über die Angebote der Suchthilfestelle auf. Das Troddwar selbst beschreibt diese Angebote als „Hilfestellungen für das Überleben und das Bearbeiten von alltags-  und drogengebrauchsbezogenen Problemen.“

Das Kontakt-Café dient hierbei als Anlaufstelle, in das David und Laurids Klienten innerhalb der Öffnungszeiten einladen können, das Besucher aber auch selbständig aufsuchen. Das müssen nicht nur Menschen aus der Szene sein, jeder ist willkommen! „Wir begegnen allen Leuten auf Augenhöhe.“ Das Angebot ist immer freiwillig und kann in Anspruch genommen werden – oder eben auch nicht. Viele der Klienten reden offen mit den Sozialarbeitern über ihre Suchtgeschichte. Für andere ist das Thema ein schwarzes Tuch, dann bohren David und Laurids auch nicht weiter nach. Denn bekehren wollen die beiden niemanden: „Wir betrachten unsere Klienten als Experten ihrer eigenen Lebenswelt.“

„Ich habe das große Glück, dass ich morgens zur Arbeit gehen kann und mich darauf freue“


David

Ein wichtiger Teil ihrer Arbeit ist es, präsent zu sein. „Präsent“ – das heißt: allen Menschen, nicht nur ihren Klienten, sondern auch besorgten Bürgern, die Ängste und Bedenken zu nehmen. Das funktioniert, indem die beiden immer ein offenes Ohr für die Besucher des Cafés, für ihre Klienten auf der Straße, für Anwohner oder andere Bürger haben. „Ein Erfolg für uns ist es, wenn beide Seiten miteinander ins Gespräch kommen und sich ihre Sorgen und Nöte gegenseitig mitteilen! Wir können an dieser Stelle den Dialog moderieren.“ Auch negatives Feedback sei dafür ideal, da jederzeit die Möglichkeit bestehe, einen Dialog anzuregen. David, Laurids und ihrem Team ist es wichtig, ihren Klienten zu spiegeln, wie sie in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Dafür wurde eigens ein „Besucherrat“ ins Leben gerufen, der einmal im Monat stattfindet. Dieser wird von einem der Sozialarbeiter begleitet, moderiert und auch dokumentiert.

Während dieser Sitzung haben die Besucher die Möglichkeit, an Diskussionen teilzunehmen und so zu erkennen, dass auch sie Verantwortung tragen und Teil des Systems sind. „Uns ist wichtig, dass die Leute mitbekommen, wie sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden und dass ihnen das auch gespiegelt wird“, so Laurids. Ein Ziel der Einrichtung ist die gesellschaftliche Rückführung der wohnungslosen, schwer drogen- oder alkoholabhängigen Menschen. Gleichzeitig fokussiert sich das Team des Troddwar auch auf eine gesellschaftliche Öffnung für die Menschen mit Suchtkrankheiten, die von David und Laurids nicht weniger als „Bürger der Stadt Aachen“ betrachtet werden. Ihren Job lieben beide.

Wer mehr über das ganze Team, die Arbeit im Troddwar oder Suchthilfe erfahren möchte, kann sich hier auf der Webseite weiter informieren. Auch auf Facebook und neuerdings auch auf Instagram ist die Anlaufstelle am Kaiserplatz vertreten.

"Querbeet ist schon so ein Herzensprojekt“

Ein Projekt, das vor allem Laurids am Herzen liegt, ist das rein spendenfinanzierte Querbeet-Projekt, das durch den Impuls der Klienten entstanden ist. Viele von ihnen sind mit dem Wunsch an die Sozialarbeiter herangetreten, „das Bild, das die Gesellschaft von ihnen hat, zu verbessern und ihr etwas Positives zurückgeben zu wollen“. Seither übernimmt die Suchthilfe der Stadt Aachen Beet-Patenschaften, die von drogenabhängigen Männern und Frauen gestaltet, gepflegt und gepflanzt werden. Eine von vielen Ideen der Besucher, die das „Rattengebüsch“ am Kaiserplatz zu schöneren Grünflächen aufwerten wollten. „Unsere Klienten kriegen ja auch mit, dass sie abgelehnt werden. Durch Querbeet können sie etwas Schönes schaffen und den Bürgern der Stadt zeigen, dass sie auch anders können.“ So kürte die Lokalzeit Aachen den Kaiserplatz sogar zu einem der schönsten Plätze Aachens. „Das wäre doch vor 10 Jahren noch ein Widerspruch in sich gewesen,“ lacht Laurids.

Das besondere an Querbeet? Das Projekt bietet eine sinnvolle Beschäftigung, in deren Rahmen sich eine Tagesstruktur erarbeiten lässt, die Projekt-Beteiligten werden für ihre Arbeit entlohnt und kommen gleichzeitig mit Anwohnern ins Gespräch. Denn diese bleiben oft stehen und bewundern die Arbeit.

„Unsere Leute respektieren auch, wenn man als Privatperson unterwegs ist“

Zwischen Privatleben und Job trennen David und Laurids ganz klar. Beide versuchen unangenehme Vorfälle oder traurigere Geschichten nicht mit nach Hause zu nehmen. Was sich aber nicht vermeiden lässt? Wenn beide nach Feierabend in der Stadt unterwegs sind, kennen sie natürlich die Menschen aus der Szene. „Aber wenn die Leute sehen, dass ich mit meiner Freundin unterwegs bin, dann konfrontieren sie mich an dieser Stelle nicht mit ihren Problemen. Unsere Leute respektieren auch, wenn man als Privatperson unterwegs ist. „Hallo“ sagen wir uns natürlich trotzdem immer.“ Das finden beide auch selbstverständlich, denn für sie sind ihre Klienten ja auch im Privatleben Personen, denen sie auf Augenhöhe begegnen. Heuchlerisch fänden beide das gegenseitige Ignorieren nach Feierabend. „Komisch ist, dass die Menschen davon ausgehen, dass sie dich nicht grüßen dürfen, wenn du mit deinen Eltern oder deiner Freundin unterwegs bist.

Aber wenn unsere Freundinnen hier zu uns ins Café kommen, dann ist das das Selbstverständlichste der Welt. Man kennt sich ja.“ Ob beide manchmal Angst hätten – vor Krankheiten? Nein! „Im Club weißt du auch nicht, wer vorher an deinem Glas getrunken hat. Wir befolgen natürlich gewisse Sicherheitsvorkehrungen, aber Angst haben wir nie.“ Für die Zukunft wünscht sich David, weiterhin die Möglichkeit zu haben, seinen Job, den er liebt, so frei ausüben zu dürfen wie bisher, neue Ideen zu entwickeln und diese auch umsetzen zu können.

Und Laurids grinst: „Dass Querbeet, ein auf Spenden angewiesenes Projekt, weiter so gut läuft. Und Unterstützer wie zum Beispiel die apag, die jährlich spendet, noch zahlreicher werden – das wäre toll!“