In Aachen leben derzeit ungefähr 2.190 Flüchtlinge. Mo* ist einer von ihnen. Weil er ohne seine Eltern und als minderjähriger Flüchtling vor 4 Jahren nach Deutschland kam, hat die Aachenerin Maria* die elterliche Sorge für ihn übernommen. Sie ist nun statt des Jugendamtes sein Vormund – und das ehrenamtlich. Wir haben beide getroffen und mit ihnen über ihre Geschichte, den Alltag und die Beziehung zueinander gesprochen.

Mo

FLÜCHTLING & KRANKENPFLEGER IN AUSBILDUNG

„Die Flüchtlingskrise hat mich schon immer berührt“

Als Maria 2016 in den Aachener Nachrichten liest, dass das Jugendamt ehrenamtliche Helfer für die Betreuung minderjähriger Flüchtlinge sucht, blättert sie nicht auf die nächste Seite der Zeitung, sondern entschließt sich, aktiv zu werden. Sie ruft kurzerhand beim Jugendamt an, um sich über die Situation und ihre Möglichkeiten zu informieren. „Die Flüchtlingskrise hat mich schon immer berührt“, sagt sie. Der Sozialdienst katholischer Frauen Aachen (SkF) stellte letztlich den Kontakt zu Mo her, 6 Monate später übernimmt sie seine Vormundschaft. Dazu musste sie zunächst einen Eignungstest ablegen und eine mehrwöchige Schulung belegen. Mit dem Jugendamt, dem SkF und Organisationen wie dem Café Zuflucht steht sie seither in engem Kontakt. „Die kennen sich mit allen Gesetzen aus. Um Fragen zu stellen, ist das also auch oft eine Anlaufstelle für Mo und mich.“

„Ich glaube am wichtigsten ist es, dass man viel Kontakt zu Deutschen hat - das hilft.“

Mo

Mo ist Kameruner. Er träumte schon als Junge davon, einmal Anwalt oder Arzt zu werden. Seit 4 Jahren lebt er nun in Aachen und im Sommer dieses Jahres wird er seine Ausbildung zum Krankenpfleger abschließen. „Eigentlich wollte ich ja Medizin studieren. Das hat dann leider nicht geklappt. Aber meine Ausbildung macht mir Spaß und studieren kann ich vielleicht eines Tages immer noch.“ Zur Arbeit fährt er mit dem Bus, in seiner Freizeit spielte er bis vor Kurzem Fußball, momentan lernt er täglich für seine Abschlussprüfung. Da unterscheidet er sich nicht von anderen Gleichaltrigen, ein ganz normaler Alltag. Wir fragen ihn, wie er so schnell so gut die deutsche Sprache lernen konnte. Er lacht verlegen. „Findest du wirklich, dass ich gut deutsch spreche?“ Er denkt kurz nach und ergänzt: „Ich glaube am wichtigsten ist es, dass man viel Kontakt zu Deutschen hat – das hilft!“

Einer seiner Kontakte ist Maria. Auch sie ist Krankenpflegerin, das verbindet die beiden. Ihre Aufgabe als elterlicher Vormund ist es, Dokumente für Mo zu unterschreiben und ihn bei Anträgen und Behördengängen zu unterstützen. „Es ist einfach, als wäre ich ein Elternteil.“ Derzeit dreht sich alles um Mos Asylverfahren und seine Aufenthaltsgenehmigung. „Am wichtigsten ist es, dass ich ihm bei dem Weg dorthin helfe. Am besten mit dem Ergebnis einer Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland.“ Die Vormundschaft bedeutet für Maria also, viel Verantwortung zu übernehmen. Das empfindet sie aber keinesfalls als belastend. „Im Gegenteil, ich finde das bereichernd. Es ist fast so, als würde ich mein eigenes Kind an die Hand nehmen, um ihm zu zeigen, wie hier in Deutschland und in Aachen alles so läuft.“ Die beiden stehen also nicht nur wegen offiziellen Anträgen und benötigten Unterschriften in Kontakt. Auch privat tauschen sich in Fragen, die nichts mit der Vormundschaft zu tun haben, aus. „Auch für andere Themen habe ich immer ein offenes Ohr für Mo.“

„Ich mag es, in Aachen zu leben, mir gefällt vor allem die Mentalität.“

Dass Mo in Aachen lebt, ist reiner Zufall. Es war die erste Stadt, in die er in Deutschland gekommen ist. Zurechtgefunden hat er sich schnell. „Die Stadt Aachen hat wirklich viel für Flüchtlinge unternommen. Deutschkurse, Schulen, wirklich viel!“ Zunächst sprach Mo kein Wort Deutsch, ein Sprachgrundlagen-Kurs an der VHS half ihm beim Einstieg. Der fand bereits 2 Monate nach seiner Ankunft in Aachen statt. „Da lernt man jeden Tag, was Akkusativ, Dativ und Genitiv bedeutet. Anfangs weiß man gar nicht, wie man einen Satz bildet. Das war echt kompliziert.“ Er lernt die Sprache, besucht zunächst eine Förderklasse, darf aber schnell in die „normale“ 10. Klasse wechseln. Er absolviert seinen Realschulabschluss und anschließend verschiedene Praktika im Bereich Pflege. Er beginnt seine Ausbildung. „Ich glaube, ich habe mich einfach mit der Zeit, durch die Ausbildung und die Kontakte, die ich hier habe, verbessert. Und das ist die Lösung, finde ich. Kontakt zu Deutschen haben, die die Sprache sprechen. Das ist der Schlüssel.“ Vieles, was am Anfang neu für ihn war, ist mittlerweile Alltag. Leicht fiel es ihm am Anfang natürlich nicht, sich in der neuen Stadt zurechtzufinden. Die Orientierung in Aachen zu behalten, sei aber zum Glück nicht schwer. „Vielleicht liegt es auch daran, dass ich jetzt schon länger hier bin, aber ich finde, man kann sich gut orientieren. Ich mag es, in Aachen zu leben, mir gefällt vor allem die Mentalität.“ Als wir ihn fragen, wie er anfangs mit der Infrastruktur zurecht kam, ob das Bus & Bahn fahren vielleicht etwas ganz Neues für ihn gewesen sei, antwortet er lachend: „Ich glaube, das habe ich schon längst wieder vergessen. Aber ich fahre mittlerweile oft mit dem Bus nach Roetgen oder mit dem Zug nach Köln. Das ist echt praktisch an Aachen.“

„Eigentlich hat sich in meinem Leben nichts verändert, außer, dass ich einen tollen Menschen kennengelernt habe.“


Maria

Für Maria war es anfangs nicht leicht, sich mit allen Gesetzen und Auflagen, die Mo betrafen, vertraut zu machen. Doch sie merkte auch, dass man im Leben immer etwas dazu lernen kann. „Auch Themen, von denen man eigentlich keine Ahnung hatte.“ Der Prozess um Mos Aufenthaltsgenehmigung läuft noch, der erste Antrag wurde abgelehnt. Ein Schock für Maria. „Das hat mich umgehauen. Ich dachte, wir wären gut vorbereitet gewesen.“ Sie fühlt sich verantwortlich, fragt sich immer wieder, ob sie alles richtig gemacht habe. „Bei der Anhörung war Mo gar nicht er selbst, er war so nervös.“ Mo und Maria geben nicht auf, in einem zweiten Verfahren kämpfen sie erneut um Mos Aufenthaltsgenehmigung.** „Ich bin ein sehr emotionaler Mensch, die Geschichte hat mich sehr berührt.“ Bis sie ihre Vormundschaft für Mo aufgibt, will sie ihm auch abseits der Bürokratie zeigen, wie das Leben in Deutschland funktioniert.

„Ich will ihm auch ein Bild davon vermitteln, wie es in deutschen Familien zugeht.“ Die Weihnachtsfeste beispielsweise verbringt Mo daher mit Marias Familie. Seitdem erzählt er Maria, dass er sich das Zusammenleben in seiner Familie später einmal genauso vorstelle. „Mo ist in den letzten Jahren viel eigenständiger und geduldiger geworden. Ich achte darauf, dass er mit den Schwierigkeiten zurecht kommt, mit denen er in Deutschland rechnen muss.“ Über die persönliche Beziehung, die die beiden zueinander aufbauen konnten, freut sich Maria besonders. „Wir halten viel voneinander. Ich weiß jetzt schon: Wenn ich die Vormundschaft abgebe, werde ich den Kontakt zwischen uns nicht abbrechen.“ Als wir sie nach den Veränderungen fragen, die durch die Vormundschaft in ihrem Leben entstanden sind, grinst sie. „Eigentlich hat sich in meinem Leben nichts verändert, außer, dass ich einen tollen Menschen kennen gelernt habe.“

Laut Maria, kann jede Person, die ein unbeflecktes Führungszeugnis und ein soziales Verständnis hat, eine Vormundschaft übernehmen, sobald der Eignungstest bestanden wurde. Mehr Informationen dazu finden Sie hier.

„Sie hat mir wirklich viel geholfen. Sie hilft mir immer.“

Und auch wenn Mo über Maria spricht, lächelt er. „Sie übernimmt einfach eine Mutterrolle.“ Wenn bestimmte Angelegenheiten zu besprechen sind, treffen sich die beiden entweder zu Hause oder in einem Café in der Stadt. „Sie macht wirklich viel für mich. Ohne sie hätte ich wahrscheinlich viel Ärger“, lacht er und ergänzt: „Manchmal muss man mich ein bisschen dazu zwingen, Sachen zu erledigen, auf die ich keine Lust habe. Zum Glück habe ich dann Maria. Sie hat mir wirklich viel geholfen. Sie hilft mir eigentlich immer.“ Mo fühlt sich wohl in Deutschland, in Aachen. Das liegt sicherlich auch an Maria. Etwas Negatives können wir ihm aber schließlich doch noch entlocken, als wir ihn zum deutschen Winter befragen: „Der ist mir echt zu kalt. Übertrieben!“ Dann fügt er grinsend hinzu: „Und ich finde, dass man es hier manchmal etwas mit der Bürokratie übertreibt. Alles muss man schriftlich einreichen und immer Termine ausmachen.“ Wir lachen. Zum Glück gibt es da ja noch Maria, die ihm genau dann unter die Arme greift.

*Namen von der Redaktion geändert

**Im April kam die erlösende Nachricht: Die Aufenthaltsgenehmigung wurde im zweiten Anlauf genehmigt. Mo darf in Deutschland bleiben. Am 9. Mai erhält er seine Aufenthaltsgenehmigung.