Als genau vor einem Jahr der erste Lockdown ausgerufen wurde, spürten die meisten von uns wohl ein ähnliches Gefühl: Unsicherheit. Genau dieses löste zwar völlig unterschiedliche Forderungen aus, denn die Vorstellungen über den Umgang mit und das Verhalten in der Pandemie gingen und gehen auch immer noch auseinander. Die einen wünschen sich einen konsequenten Lockdown, die temporäre Einstellung des kompletten öffentlichen Lebens, beispielsweise auch des ÖPNV. Andere fühlen sich durch den Einschnitt ins öffentliche Leben bedroht, sorgen sich um Grundrechte und Freiheiten. Doch eine Sache verband und verbindet die Menschen, ein Gedanke bleibt gleich: Wir sitzen in dieser Pandemie alle im selben Boot. Im AVV, in Deutschland, in Europa, in der Welt. Und überall nahm mit und mit das Bewusstsein für systemrelevante Berufe zu. Dankbarkeit flammte auf, für einen Berufsstand, den viele zuvor als selbstverständlich erachteten. Es waren die Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, die an der vordersten Front unseren Kranken halfen, als es weder fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse über das Virus, noch ausreichend Schutzausrüstung oder einen Impfstoff, geschweige denn ein sichtbares Licht am Ende des „Pandemie-Tunnels“ gab. Und es sind auch ein Jahr später die Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, die in der dritten Welle der Pandemie die Menschen pflegen. Das ist einer der Gründe, warum wir vom AVV froh sind, dass sich so viele unserer Fahrgäste an die Hygieneregeln und die Einhaltung der Maskenpflicht halten. Nur so können wir den ÖPNV aufrecht erhalten und sicher stellen, dass gerade Menschen mit systemrelevanten Berufen auch mit Bus und Bahn weiterhin ihre Arbeitsstelle erreichen.

Was uns außerdem positiv stimmt: Es gibt endlich Impfstoff – und es gibt Hoffnung. Zumindest im Bethlehem Gesundheitszentrum in Stolberg, in dem Arnulf Cosler die zentrale Notaufnahme leitet und zudem die Corona-Impfungen koordiniert. Wir haben ihn für den Blog getroffen und einmal nachgefragt, wie er die Pandemie erlebt.

Arnulf Cosler

LEITER DER ZENTRALEN NOTAUFNAHME 

„Anfangs war es eine komische, unruhige Situation. Man hörte vom Virus – es war aber alles noch sehr weit weg.“

 

Arnulf Cosler leitet seit 6 Jahren als Krankenpfleger die zentrale Notaufnahme des Stolberger Krankenhauses. Zuvor war er Leiter der Intensivstation des medizinischen Zentrums der Städteregion Aachen in Bardenberg, seine Ausbildung und die ersten 15 Jahre seines Berufslebens absolvierte er in Eschweiler am St.-Antonius-Hospital. An Erfahrung – auch in Extremsituationen – mangelt es dem sympathischen Cosler also nicht. Doch auch er spürte zu Beginn der Pandemie eine gewisse Unbehaglichkeit: „Anfangs war es eine komische, unruhige Situation. Man hörte vom Virus – es war aber alles noch sehr weit weg.“ Wie die Verbreitung des Virus dann kurz nach Karneval Fahrt aufnahm, daran erinnern sich wohl noch die meisten. „Als das Virus sich ausbreitete und nicht mehr nur Heinsberg in der Region betroffen war, merkten wir, dass das Virus da und die Lage ernst war.“ Doch Cosler und sein Team reagierten nicht mit Panik, sondern besonnen. Eine Zeit, die mit viel Arbeit verbunden war. „Wir haben uns intensiv vorbereitet, um gerüstet zu sein. Das war mit intensiver Arbeit und Umstrukturierungen verbunden. Wir haben uns ganz genau überlegt, wie wir Patientenströme hier in der Notaufnahme voneinander trennen konnten, wie wir einen COVID-Bereich einrichten und wie wir die eigenen Leute am besten schützen können.“ Für diese logistische und strukturelle Vorbereitung gründeten Cosler und leitende Kollegen ein „Krise-Team“, um Informationen, die zu diesem Zeitpunkt ständig wechselten und beinahe stündlich neu eintrafen, zu koordinieren und schnell darauf reagieren zu können.

„Wir haben untereinander besprochen, wie wir mit unseren Schichten hinsichtlich der Schließungen von Kindergärten und Schulen umgehen.“

Im Team wurde aber nicht nur geplant, wie Patienten bestmöglich aufgenommen und Ströme geleitet werden konnten. Auch alltägliche Themen wurden analysiert. Und Herausforderungen durch gute Kommunikation selbst in die Hand genommen. Als beispielsweise die Schul- und Kita-Schließungen vor der Tür standen, war das Team um Arnulf Cosler gut vorbereitet. „Wir haben von Beginn an untereinander besprochen, wie wir mit unseren Schichten hinsichtlich der Schließungen von Kindergärten und Schulen umgehen. So konnten wir schnellstmöglich auf alle Eventualitäten reagieren. Da bin ich wirklich stolz auf mein Team. Wir haben das super hingekriegt. Jeder hat versucht, in seinem Bereich alles Mögliche zu tun, um letztendlich den Klinikbetrieb und den Stationsbetrieb aufrecht zu erhalten. Das haben wir geschafft und das war wirklich eine ganz tolle Sache!“

Doch trotz der guten Organisation kamen gerade zu Beginn der Pandemie drängende Fragen auf. Gibt es genug Schutzkleidung, genug Masken, die wirklich schützen? An Schutzausrüstung mangelte es dem Krankenhaus damals aufgrund der guten Vorbereitung und Planung nicht. „Die Sicherung des Bedarfs wurde zur Chefsache und es wurde alles unternommen, um die Schutzausrüstung, die nun in dramatisch großen Mengen benötigt wurde, zu beschaffen.“ Doch eine gewisse Unsicherheit spürten alle trotzdem. „Wir wussten ja nicht, wie schnell sich das Virus verbreiten würde, wie infektiös es wirklich ist, welche Kontakte genau zu einer Infektion führen. Das hat letztes Jahr schon für eine gewisse Unruhe im Team gesorgt. “ Doch durch die intensive Vorbereitung und das frühe Treffen strategischer Maßnahmen zieht Cosler einen positiven Schluss aus der Anfangsphase der Pandemie: „Wir konnten es dann auch zu Beginn gut managen, ohne viele Überstunden, wie es teilweise in den Medien berichtet wurde. Nur auf der Intensivstation, da kam es zwischenzeitlich schon zu seinem großen Patientenansturm. Und da war es natürlich dann gerade aufgrund der Schwere der Erkrankungen so, dass es teilweise auch problematisch wurde, ganz klar“, erklärt Cosler ruhig. Doch dass es in der Notaufnahme schon zu Beginn eine erarbeitete Strategie gab, in die die Pflegekräfte mit eingebunden waren, sieht Cosler heute als Erfolgsrezept.

„Wir hatten zur zweiten Welle im Winter wieder ein großes Peak, doch auch da waren wir vorbereitet.“


Nun, da die Corona-Pandemie immer noch den Alltag in deutschen Krankenhäusern bestimmt, ist es für Pflegeleiter Cosler beinahe normal geworden. „Also mittlerweile ist es Routine, die Ankunft von Corona Patienten haut uns nicht mehr aus den Socken. Es ist einfach präsent und es ist normal.“ Wichtig ist im Klinikalltag vor allem eines: Die schnellstmögliche Identifizierung von Corona-Patienten durch Tests und die darauffolgende Isolation von den „anderen“, nicht mit Corona-infizierten Patienten. Dazu müssen sich alle neu eintreffenden Patienten einem Corona-Schnelltest und in Folge dessen auch noch einmal dem noch genaueren PCR-Test unterziehen. Sobald ein Test positiv ausschlägt, wird der Patient isoliert. „Wir sind hier auf der Notfallstation ein laufendes Geschäft. Wenn hier fünf, sechs Rettungswagen vor der Tür stehen, müssen wir sehen, dass wir unsere Bereiche für die optimale Primärversorgung schnell wieder clean haben. Und ich finde, das schaffen wir sehr gut. Für uns sind die Knochenbrüche mittlerweile wieder ein genau so großes Thema wie Corona.“

Dennoch: Die Pandemie ist seit nunmehr 12 Monaten zum ständigen Begleiter geworden. Gerade junge Patienten, die mit Corona infiziert sind, reagieren oft ängstlich. „Wir haben ja gerade bei Corona viele ältere Patienten, doch die kriegen ihre Infizierung oft auch gar nicht richtig mit. Großes Angst-Potenzial haben wir tatsächlich bei den jüngeren Patienten. Aber man muss auch ganz klar sagen, die Jüngeren haben oft normale Symptome. Sie kommen vielmehr in die Notaufnahme, weil sie einfach Angst haben, dass die Erkrankung schlimmer wird.“ Ein Umstand, für den Cosler Verständnis zeigt. „Naja, und bei den Älteren ist es so, dass sie oft keine große Panik haben, denn da stehen auch oft andere Infektionen und Krankheiten im Vordergrund. Die Panik kommt erst, wenn Corona sie wirklich sterbenskrank macht.“ Cosler und sein Team müssen mit diesen Ängsten umgehen können. „Das ist einfach so. Das ist unser Beruf. Und nun ja, natürlich kommen wir mit schlimmen Krankheiten und Nöten in Kontakt, aber das kennen wir auch aus anderen Zeiten nicht anders.“

„Natürlich haben wir auch schlimme Schicksalsschläge miterlebt.“

Dass auf der Station von Arnulf Cosler Corona zwar äußerst präsent, jedoch stets kontrollierbar war und weder zu Beginn, noch jetzt wilde Panik auslöste, hat zwar viel mit der guten Organisation, doch sicher auch mit einer großen Portion Glück zu tun. „Wir haben hier im Haus in anderen Abteilungen auch Fälle gesehen, die es hart getroffen hat, wo man wirklich sah, dass der Virus sehr, sehr schlimm ist.“ Es gab Tage, an denen in Stolberg mehrere Menschen pro Tag an Corona starben. Arnulf Cosler erzählt mit trauriger Stimme: „Nicht nur Patienten-Schicksale hat man mitgekriegt. Auch ein ehemaliger Kollege von uns ist an Corona verstorben. Er war ein fantastischer Mensch.“ Erfahrungen wie diese prägen, lassen Cosler nachdenklich wirken. „Ich persönlich versuche, über solche Erfahrungen offen zu reden. Und meine Tür steht immer offen für meine Kollegen, die vielleicht gerade einen Patienten verloren haben. Es ist in so einer Situation extrem wichtig ist, einfach füreinander da zu sein, ein offenes Ohr zu haben.“

Doch mit Corona kamen nicht nur schlimme Schicksalsschläge. Für den Berufsstand von Cosler änderte sich vor allem eines: Das Bewusstsein der Menschen. „Natürlich haben wir das gespürt. Am Anfang der Pandemie gab es ja auch diese Aktion, dass Menschen an ihren Fenstern geklatscht haben und das fand ich eine sehr schöne Geste. Da wurden dann aber unter Kollegen die ersten Stimmen laut, dass Klatschen uns nichts bringt. Doch wissen Sie, ich bin kein Typ, der gerne jammert oder Jammern hört.“ Cosler lächelt. „Natürlich haben wir einen Pflegenotstand. Natürlich haben wir zu wenige Leute. Natürlich gibt es Stationen, die haben Überstunden ohne Ende gemacht. Aber letztendlich sage ich immer, es nützt doch nichts, wenn wir das jeden Tag bejammern.“ Und so nimmt Arnulf Cosler die Dinge, die sich zum besseren wenden lassen, lieber selbst in die Hand.

„Ich möchte, dass wir frühzeitig sehr viel impfen.“

Seit einigen Wochen organisiert und koordiniert er am Stolberg Krankenhaus nämlich die Impfungen. „Dafür habe ich mich ganz bewusst gemeldet, weil ich möchte, dass wir frühzeitig sehr viel impfen, dass wir unproblematisch impfen. Und deswegen habe ich es in die eigene Hand genommen, weil ich weiß, dass es sonst vielleicht nicht so reibungslos laufen könnte.“ Als bekannt wurde, dass die Impfungen in Deutschland losgehen konnten, handelten Cosler und einige Kollegen, genau wie zum Beginn der Pandemie, umgehend – genau wie im März 2020 auch ein Jahr später mit Erfolg. „Diese Woche haben wir zum Beispiel hunderte Kollegen geimpft. Wobei ich jede einzelne Spritze selbst aufziehe, weil das ja ein sehr sensibler Stoff ist. Ich lege absolut Wert darauf, dass alles absolut korrekt abläuft“, lächelt er und ergänzt: „Wir kriegen den Impfstoff als persönliche Übergabe geliefert. Dieses ganze Verfahren ist ziemlich streng geregelt, weil es ja ein heißes Gut ist. Aber wissen Sie, warum ich das hier gerade so gerne tue?“, fragt er uns. Wir warten zum Abschluss unseres Interviews gespannt auf seine Antwort: „Im Gegensatz zu anderen Situationen, in denen es im Krankenhaus ja manchmal auch schwierig ist, in denen man oft auch Gejammer hört, erzeugt unsere Impfstrategie gerade eine unheimliche Dankbarkeit bei den Mitarbeitern.“ Der sympathische Arnulf Cosler lächelt zufrieden und verabschiedet uns – seine Patienten und die Anmeldung der nächsten Impfungen warten.