Unsere persönlichen Nachtbus-Erfahrungen liegen viele Jahre zurück. Damals, als wir in glitzernden Tops, als Party-Clique verkleidet, Stammgäste von Diskos außerhalb der Innenstadt waren. Die erreichte man auf der Hinfahrt zwar eventuell noch dank einer netten Mutter, die freiwillig Shuttle für vier mit Alkopops alkoholiserte Teenager spielte, rückzugs war man aber spätestens auf den Nachtbus angewiesen. Die Erinnerungen? Dämmrig, nicht zuletzt wegen der vielen Jahre, die seitdem vergangen sind. Höchste Zeit also, diese noch einmal aufzufrischen. In den Nächten von Freitag auf Samstag, Samstag auf Sonntag und vor Feiertagen sind zehn Nachtbuslinien, die ab Elisenbrunnen oder Bushof starten, der ASEAG unterwegs. Eine davon ist die N2, in der wir in einer kühlen Herbstnacht unsere Fahrt mit dem Nachtbus antreten…

Treffpunkt: Bushof

Es ist 1 Uhr. Dunkel ist es schon seit vielen Stunden, kalt auch. Unheimlich ist es auf dem Weg zum Bushof – wo die Fahrt beginnt – aber nicht, dafür sind zu viele junge Leute auf den Straßen unterwegs. Das Partyvolk scheint in dieser Novembernacht aktiv zu sein. Gut für uns, schließlich hoffen wir auf eine möglichst „typische“ Nachtbusfahrt, da gehören die Feiernden einfach zu.

Wir treffen den Fahrer der N2, Stephan Hermanns vor dem Fahrer-Warteraum. Bis seine Fahrt um 1:30 beginnt, haben wir die Gelegenheit, uns in Ruhe mit ihm auszutauschen. Er ist gut gelaunt, freut sich auf seine Schicht. „Ich fahre gerne die Nachtschichten, denn am nächsten Tag habe ich dann Zeit für meine Familie. Wenn unsere Kleinste sonntags schwimmen gehen will, dann ist nämlich Papa gefragt.“ Ein weiterer Grund? Nachts herrscht weniger Verkehr, viele Ampeln sind ausgeschaltet. „Vor allem ohne den Berufsverkehr, kann ich die Zeiten besser einhalten, es läuft alles flüssiger“, erklärt uns Stephan Hermanns.

Um 1:20 machen wir uns auf den Weg zum Bus. Hermanns ist routiniert, bereitet ruhig seine Fahrt vor, die laut Plan ab Elisenbrunnen startet. Nach wenigen Minuten erweckt er den Bus zum Leben. N2, Nachtexpress Richterich-Locht leuchtet nun in riesigen Lettern auf der LED-Anzeige. „Wir fahren jetzt über den Elisenbrunnen, das Ponttor, die Jupp-Müller-Straße, Laurensberg bis nach Richterich und dann weiter Richtung Locht an der holländischen Grenze“, erklärt uns Hermanns. Wir steigen ein, es kann los gehen.

Erste Station: Elisenbrunnen

Nachdem Hermanns den Bus aus dem Bushof gesteuert und seine erste Haltestelle, den Elisenbrunnen, erreicht hat, steigen die ersten 25 Fahrgäste ein. Die meisten von ihnen sind wohl Anfang 20 und auf dem Weg zur nächsten Party. Auf dem Nachhauseweg scheint keiner von ihnen zu sein. Und deswegen stimmt eine Gruppe auf dem Weg zur nächsten Haltestelle auch schon das erste Partylied an: „Wie heißt die Mutter von Niki Lauda…?“ Stephan Hermanns grinst: „Mir macht das gar nichts aus. Man sollte die Leute doch ruhig feiern lassen. Ich freue mich, wenn meine Fahrgäste Spaß haben und ich sie sicher ans Ziel bringe.“ In der Zwischenzeit unterbricht ein Anruf den Gesang der gut gelaunten Jungs-Truppe. „Wir sind auf dem Weg in die Ponte, komm mal ran“, ruft einer von ihnen in den Lautsprecher.

Zweite Station: Bushof

Am Bushof füllt sich die N2 dann bis auf den letzten Platz. Das nächste Partylied wird angestimmt. Die Stimmung ist ausgelassen. Doch Stephan Hermanns muss dieses Mal eingreifen. Denn einsteigen wollen auch zwei Herren, die einen ganzen Schrank transportieren. „Wenn hier ein Schrank durch den Bus fliegt, gefährdet das die Sicherheit aller Fahrgäste.“ Mitfahren dürfen Schrank und ihre beiden Besitzer daher nicht. Doch sie nehmen es gelassen, weil Hermanns ihnen eine plausible Erklärung liefert. „Wir sind ja schließlich kein Möbeltransport.“ Während sie also, weiterhin gut gelaunt, den Weg Richtung Pontstraße zu Fuß antreten, steigt Hermanns wieder hinter das Steuer. Die Party-Clique, die kurz davor noch sang, dass die Mutter von Niki Lauda „Mama Laudaaa“ heißt, zeigt sich ebenfalls etwas verdutzt. „Junge, wollten die gerade ernsthaft mit einem Schrank einsteigen?“ Hermanns grinst wieder und setzt die Fahrt fort.

Wir erreichen das Ponttor

Der Bus balanciert an dicht aneinander haltenden Taxen vorbei und steuert die Haltestelle am Ponttor an. Das gut gelaunte Partyvolk verlässt den Bus, der sich nun fast bis auf den letzten Platz leert. Doch das soll nicht so bleiben. An der gleichen Haltestelle füllt sich der Bus auch wieder, denn die ersten Feiernden wollen jetzt den Heimweg antreten. „Man kann schon sagen, dass die meisten meiner Nachtexpress-Fahrgäste vom Feiern kommen oder auf dem Weg zu Partys sind.“ Jetzt muss Hermanns aufpassen. Denn Essen, Trinken oder Schlafpositionen mit Schuhen auf Sitzen sieht er in seinem Bus nicht gerne. „Jeder Fahrgast hat doch das Recht auf einen sauberen Sitz, ohne Döner-, Bier- oder andere Flecken, oder?“

Jupp-Müller-Straße

Die Partystimmung ist an der Pontstraße ausgezogen. Die ersten Fahrgäste schlafen ein, auch die Straßen sind nun leerer, die meisten Ampeln ausgeschaltet. Die Nacht erhält Einzug in Hermanns Bus. „Das meinte ich, so lässt es sich doch ganz entspannt fahren.“ Unterbrochen wird die entspannte Fahrt dann doch, denn auch die Nacht hat ihre Tücken. Ein Polizeiwagen blockiert mit Warnblinklicht die Straße. „Das könnte natürlich jetzt zu einer Verspätung führen.“ Doch wir haben Glück, die beiden Polizisten steigen schnell wieder in ihren Dienstwagen und verlassen den Tatort, der wohl doch keiner war. „Nachts erlebt man oft verrückte Dinge. Das gerade war ja eher harmlos.“

Wildbach

Einer der Fahrgäste muss ein geübter Schmuggler sein, denn langsam breitet sich ein zarter Hauch Döner-Duft im Bus aus. Das macht den meisten aber nichts aus. Die allgemeine Stimmung: friedlich. Mehrere Fahrgäste schlafen, andere tippen gelangweilt auf ihren Smartphone-Displays, wieder andere unterhalten sich leise – aus Rücksicht vor ihren müden Mitfahrern.

Haltestelle Laurensberg

Der Bus leert sich, die Haltestelle Laurensberg scheint für die meisten Fahrgäste die persönliche Endstation zu sein. Doch die N2 rollt weiter. Ein schlafender Fahrgast wacht auf. Sichtlich verwirrt versucht er, herauszufinden, wo er sich gerade befindet. Die Recherche dauert ungefähr 2,7 Sekunden. „Was soll’s“, scheint er zu denken – und schläft einfach weiter. Hermanns schmunzelt. Denn schlafende Gäste, die ihre Haltestelle verpassen, begegnen ihm wirklich oft. „Die fahren dann auch gerne mal mit mir im Kreis.“

Hander Weg

Nachdem sich der Bus an den letzten Stationen lediglich geleert hat, steigt nun ein Pärchen hinzu. Aus dem Wagen heraus schien es so, als hätten sie sich an der Haltestelle gestritten. Hermanns wirft daher über den Bildschirm in seiner Fahrerkabine, auf dem er auch den hinteren Teil des Busses sehen kann, einen Blick auf die beiden. Fehlalarm. Von Streit ist im letzten Vierer keine Spur mehr.

Vetschauer Weg

Der Blick auf den Bildschirm überführt dann doch noch einen – wenn auch recht harmlosen – Übeltäter. Hermanns greift zum Mikrofon: „Die Füße bitte nicht aufs Sitzpolster.“ Der einsichtige Fahrgast handelt umgehend. „Tschuldigung“, hallt es durch den Bus. Die Durchsage muss den schlafenden Fahrgast aufgeweckt haben. Was in Laurensberg noch als eine ziemlich kurze Standort-Recherche ausfiel, gleicht nun, sieben Haltestellen später, doch eher der panischen Hoffnung, eine bekannte Haltestelle zu erspähen. Er verlässt eine Station später den Bus.

Die Landstraße, über die die N2 nun rollt, führt durch in dunkles Schwarz gehüllte Felder. Die Stimmung der Nacht ist nun deutlich zu spüren, der Bus mittlerweile auf einen Fahrgast reduziert. Hermanns ist nun voll konzentriert.

„Ich fahre in der Nähe der Haltestellen extra langsam, sonst übersehe ich noch die Fahrgäste.“ Diese warten – vor allem im Winter – oft in Hauseingängen, die etwas vor der Kälte schützen. „Es gibt aber einen Trick. Die meisten von ihnen winken mir mit ihren leuchtenden Handys. Dann weiß ich direkt Bescheid, dass da jemand in der Dunkelheit steht und wartet.“ Auch, wenn Hermanns es vorzieht, nachts zu fahren, hat er doch Respekt vor der Dunkelheit. „Es ist wirklich gefährlich, wenn zum Beispiel Fahrradfahrer ohne Licht unterwegs sind. Deswegen fahre ich immer sehr vorsichtig.“

Wir erreichen die Endtstation Locht Zollmuseum

An der Endstation in Locht ist der Bus nun menschenleer. Hermanns nutzt die Wartezeit, um seine neue Destination einzublenden, denn er fährt die Strecke auch wieder zurück. Wir finden es beinahe etwas unheimlich, auf dieser verlassenen, dunklen Straße mitten „im Nirgendwo“ zu stehen. Angst habe Hermanns selbst aber eigentlich nie. „Ich habe zum Glück noch nie Erfahrung mit ernsthaften Bedrohungen gemacht. Es kann natürlich vorkommen, dass betrunkene Fahrgäste handgreiflich werden – doch das kriegt man meistens schnell wieder in den Griff. Ich weiß aber, dass Kollegen von mir da schon andere und ernstere Erfahrungen gemacht haben. Ich verriegele deswegen die Türen und bin immer wachsam.“ Und so setzt Hermanns seine Fahrt fort. Die Nacht ist für ihn und seine N2 noch lange nicht vorbei. Spätestens am Elisenbrunnen – dann eine Stunde später – wollen schließlich die nächsten Nachtschwärmer sicher zur nächsten Party oder nach Hause transportiert werden. So wie wir, als wir damals, als Party-Clique verkleidet, die Diskos außerhalb des Stadtkerns erreichen mussten.