Die Bauarbeiten am Stolberger Hauptbahnhof sind in vollem Gange. Bis Ende des Jahres wird auch der Mittelbahnsteig komplett modernisiert und barrierefrei gestaltet – die alte muffelige Unterführung verschwindet. Dafür ist eine provisorische Überführung nötig. Ihre Errichtung ein kleines Meisterwerk.
Bahnpendler sollten ab dem 18. Februar ein paar Minuten Zeit mehr einplanen, wenn sie in Stolberg einen Zug erreichen wollen. Dann soll die neue, provisorische Überführung zum Mittelbahnsteig spätestens in Betrieb genommen werden. Und damit ändert sich für Reisende der Fußweg.
Von der Rhenaniastraße geht‘s über den Parkplatz an der Schrebergartenkolonie vorbei zu einer 18 Meter langen Treppe, um 28,50 Meter weit oberhalb der Schienen und wieder 18 Meter Treppen bergab zu den Gleisen 1 und 2 gelangen zu können.
Alles lief wie am Schnürchen
Am letzten Sonntag im Januar kurz nach Mitternacht begann die Montage der Behelfsbrücke. Um 0:07 Uhr hielt noch einmal der RE 1 in Richtung Hamm am gewohnten Gleis 2. Dann wurde es für den Zugverkehr ebenso wie die benachbarten Gleise 43 und 44 der euregiobahn für den Zugverkehr komplett gesperrt. Mitarbeiter des von der Deutschen Bahn beauftragten Generalunternehmers Albert Fischer aus dem niedersächsischen Elze hatten nun das uneingeschränkte Sagen. Sicherheit geht vor. Unter den Augen zahlreicher Sicherungsposten wurden zunächst die Oberleitungen geerdet, bevor sich das Augenmerk auf das 28,50 Meter lange Stahlkorsett richtete. Am Rande der früheren P+R-Anlage – selbst eine Baustelle zur Errichtung eines Parkhauses – hing es bereits an den Seilen eines Autokrans. Jetzt begann für Daniel Karpenko die wohl aufregendsten Minuten dieser Nacht.
Der Bauleiter hatte kaum Augen genug, um die beiden Turngerüste, den Übergang und die Oberleitung der drei Gleise im Blick zu behalten. Nur wenige Zentimeter darüber hievte der Kran den Übergang langsam, aber stetig voran – bis er in Position war. Derweil passierten Güter- und Personenzüge mit gehörigem Sicherheitsabstand, aber gegenläufig Gleis 1. Eine kurze Pause ließ Karpenko einlegen bis eine größere Gruppe Reisender den Mittelbahnsteig wieder verlassen hatte. Dann wurde die tonnenschwere Last abgesenkt. Arbeiter griffen die Streben und verschraubten sie gleich mit den speziell konstruierten Kugelköpfen. Aber damit alles, ohne unter Spannung zu stehen, passte, musste der Stahlturm auf der Parkplatzseite noch ein paar Millimeter verrückt werden. Ein ganzer Bautrupp legte mit Stangen ausgestattet Hand an. Doch die Arbeiten liefen wie am Schnürchen. Es dauerte kaum eine Stunde bis die Überbrückung stand und sorgfältig fixiert war.
Weitere aufregende Nächte
„Das ist eine speziell entwickelte Konstruktion“, sagte Karpenko. Nun hatte er die Ruhe, ein wenig zu seinem Projekt zu erzählen. Bis zu 40 Meter können mit ihr ohne zusätzliche Pfeiler überbrückt werden. Neun Meter hoch ab Schienenkante ist der Durchlass. In dem Stahlkorsett vormontiert ist bereits eine hölzerne Sicherheitsbrücke mit zwei Meter hohen Wänden. „Damit niemand so ohne Weiteres etwas auf Schienen oder Züge werfen kann“, so Karpenko weiter. Vor ihm liegen noch weitere aufregende Nächte – die Hauptarbeitszeit an einer der am häufigsten befahrenen Bahnstrecken Deutschlands. Denn in dieser Nacht wurde quasi nur der Rohbau erstellt. Was folgt ist der komplette Innenausbau und die Elektrifizierung.
Die Treppen müssen noch ausgebaut werden, Leitungen verlegt, Beleuchtung installiert, Wege und Beschilderungen angebracht werden. „Zum Schluss erfolgt die Abnahme der Überführung“, berichtet Daniel Karpenko, für den bis in den Oktober hinein Stolberg das Hauptarbeitsfeld sein wird. Denn während der eine Teil der gut zwei Dutzend Mitarbeiter sich in dieser Nacht der Brücke widmete, kümmerten sich andere um die Absicherung von Gleis 2 auf rund 300 Meter Länge. Hier geht es weiter, wenn die Treppenanlage in Betrieb ist. Der DB-PlusPunkt muss abgebaut und die bisherige Unterführung verfüllt werden. Dort entsteht das Fundament für die neue Überführung mit Aufzügen, die barrierefrei direkt in das Parkhaus führen soll, das im Mai auf dem P+R-Platz fertiggestellt sein soll.
Rhein-Ruhr-Express im Blick
Der komplette Mittelbahnsteig wird von 38 auf 76 Zentimeter angehoben, erneuert und zudem bereits mit Blick auf den neuen Rhein-Ruhr-Express (RRX), der ab Dezember 2018 den Betrieb aufnimmt, der für Personenzüge nutzbare Teil von 215 auf 220 Meter verlängert. Zuerst nimmt sich Karpenkos Truppe Gleis 2, danach Gleis 1 vor.
Das bedingt, dass es immer wieder zu Veränderungen im Fahrplan kommt, Züge mit Verspätungen verkehren, an anderen Gleisen oder gar nicht in Stolberg halten oder sogar ganz ausfallen. Achtet dazu bitte immer wieder auf die Aushänge der Bahn vor Ort oder werft vorher einen Blick auf www.bahn.de/bauarbeiten oder www.avv.de.
Text und Fotos: Jürgen Lange