Jeder weiß, was ein Fluglotse ist. Er lenkt den Luftverkehr, sorgt für einen flüssigen und sicheren Ablauf, indem er Zusammenstöße zwischen Fahrzeugen verhindert, er vergibt die Befehle für Starts und Landungen. Doch nicht nur in der Luft bedarf es einer Flugverkehrsleitung. Auch auf der Erde müssen Züge und Bahnen koordiniert werden. Im elektronischen Stellwerk in Stolberg zum Beispiel. Technik und Mensch lotsen hier täglich in einem perfekten Zusammenspiel unter anderem die Züge der DB Regio, die auf den Schienen der EVS (EVS Euregio Verkehrsschienennetz GmbH) fahren. Das reine Infrastrukturunternehmen unterhält keine eigenen Fahrzeuge, sondern vermietet Schienenstränge – unter Fluglotsen spräche man von Slots – an die Deutsche Bahn und anderen Verkehrsunternehmen. Diese nutzen also die Gleise und das EVS-Stellwerk ist für den sicheren, flüssigen und geregelten Verkehr darauf verantwortlich. Das Schienennetz der EVS umfasst die Nebenstrecken in der Region, auf der die euregiobahn unterwegs ist. Das sind alle Schienenstrecken, die von den Hauptstrecken Aachen – Mönchengladbach und Aachen – Köln abzweigen, zum Beispiel in Richtung Stolberg-Altstadt, von Stolberg über Eschweiler-Talbahnhof nach Langerwehe sowie die Ringbahn von Herzogenrath über Alsdorf nach Stolberg.

Was ist überhaupt ein Stellwerk?

Während von einem Fluglotsen in einem Kontrollturm auf dem Flugplatz wahrscheinlich eine relativ deutliche Vorstellung existiert, ist über ein Stellwerk recht wenig bekannt. Ein Stellwerk – so viel wurde in der Einleitung bereits deutlich – steuert den Bahnbetrieb. Und auch auf den Schienen kommt es neben dem normalen Verkehr, den es zu steuern gilt, zu Staus, Verkehrshindernissen, Sperrungen und Bauarbeiten. Daher stellt und steuert das Stellwerk sogenannte Fahrweg-Elemente wie Signale, Weichen, Gleissperren und Bahnübergänge. Dafür ist es in eine Technik- und eine Bedienzentrale, die in Stolberg in räumlicher Entfernung auf zwei unterschiedlichen Etagen liegen, unterteilt. Denn unter dem eigentlichen Begriff „Stellwerk“ wird – relativ nüchtern – nur die elektronische Steuerung der Außenanlagen verstanden. Im technischen Teil sind alle Gleisbedienungen digital hinterlegt und es laufen Sicherheitssoftwares, die die Außenanlagen (also die Signale, Weichen, Gleissperren oder Bahnübergänge) steuern und Befehle senden.

Die Technikzentrale

Die Unterteilung des Stellwerks in Technik- und Bedienzentrale findet seinen Ursprung in der Digitalisierung. Früher gab es weder Sicherheitssoftwares noch Computer, in denen digitale Daten über Züge und deren Fahrpläne lagen, um so automatische Befehle für Weichen, Sperren oder Übergänge stellen zu können. Es ist erst ein Jahrzehnt her, da befand sich das Stellwerk noch am Gleis und Menschen bedienten mit Muskelkraft Hebel oder Knöpfe, die die Schranken oder Weichen stellten.
2008 erfolgte der Bau des elektronischen Stellwerks (ESTW). Das Stellen von Signalen und Weichen über Computer und Mausklicks ersetzt also seitdem die mechanische Bedienhandlungen des Personals. Die erste Strecke, die digitalisiert wurde, lag zwischen Langerwehe und Weisweiler. In den darauffolgenden Jahren wurden weitere Strecken sukzessive digitalisiert, bis 2016 der sogenannte „Ringbahnlückenschluss“ vollbracht war und alle EVS-Strecken verkabelt, verknüpft und gespeichert waren und so seither alle Weichen und Signale elektronisch gesteuert werden können.

Der Prozess? Eine große Herausforderung, ein riesiger Aufwand! Denn die Montage der Signale musste bei laufendem Zugverkehr erfolgen und Sperrpausen so gering wie möglich gehalten werden. So wurden die Signale zwischenzeitlich sogar mit Hubschraubern – also aus der Luft – gestellt, um aufwendige Bauarbeiten durch Aufreißen der Gleise zu verhindern. Das hatte zur Folge, dass der Streckenabschnitt nur sehr kurz gesperrt werden musste. Der Hubschrauber konnte das Signal aus der Luft einfliegen, welches dann am Boden verankert und direkt mit dem ESTW vernetzt werden konnte. Anschließend konnte der nächste Zug das Gleis passieren, als sei nichts gewesen. Inzwischen stehen alle Lichtsignale an den richten Stellen und eigentlich könnte die Steuerung voll und ganz automatisch ablaufen. Aber eben nur eigentlich…

Die Bedienzentrale

Durch ein Lichtwellenleiter-Netz (kurz LWL) gelangen die Befehle, die das ESTW sendet nämlich zunächst einmal zur Bedienzentrale, in der dann nicht mehr nur Technikschränke und Computer stehen, sondern Menschen sitzen. Sie ist 365 Tage und 24 Stunden besetzt, gearbeitet wird im 3-Schichtsystem. Auf vielen verschiedenen Bildschirmen verfolgt der Fahrdienstleiter die Verkehrslage auf den EVS-Schienen und überprüft die Befehle aus dem Stellwerk, bevor sie auf den Gleisen ankommen und so den Verkehr beeinflussen. Die Steuerung des Bahnverkehrs erfolgt also letztlich durch einen agierenden Menschen, der Entscheidungen trifft und die automatisierten Befehle – die natürlich in der Regel sicher sind – notfalls auch übertrumpfen kann.

Die Bedienzentrale ist eigentlich mit einer Leitstelle (wie wir sie zum Beispiel von der ASEAG kennen) vergleichbar. Der entscheidende Unterschied: Die Disponenten der Leitstelle können nicht in die Steuerung der Fahrzeuge eingreifen, die Fahrdienstleiter des Stellwerks schon. Sie sind zum Beispiel in der Lage, die Ampelschaltung zu steuern oder Züge anzuhalten.

In der Bedienzentrale sind auf vielen verschiedenen Bildschirmen das gesamte EVS-Streckennetz und deren Bahnhöfe abgebildet. Gearbeitet wird mit Farbcodes: Gelbe Strecken liegen im Einflussbereich der EVS, rote Markierungen geben an, wo ein Zug steht, die grünen Strecken sind als Fahrstraße eingestellt. Der Fahrdienstleiter kann also alle Züge, die auf Gleisen der EVS fahren, und alle Stationen im EVS-Netz, sehen. Das Stellwerk (als eine Kombination aus Mensch und Technik) stellt jedem Zug, der das EVS-Streckennetz durchquert, eine Fahrstraße ein, schließt die nötigen Bahnübergänge und sorgt dafür, dass alle Weichen richtig liegen. Der Fahrer erhält dann buchstäblich „grünes Licht“ und kann das entsprechende Gleis befahren.

Warum die Züge aber nicht rein automatisch durch das EVS-Netz geleitet werden

Ein wichtiger Punkt, schließlich erkennt die Technikzentrale die Züge anhand einer Nummer und seine Fahrplan- und Streckendaten sind digital gespeichert. Es gibt aber verschiedene Gründe, warum die Bedienzentrale manuelle Eingriffe vornimmt.  Wenn Verzögerungen entstehen (Beispiel: Der Einstieg einer große Reisegruppe hat an einem vorherigen Bahnhof die Abfahrtszeit des Zuges verändert), müssen die Züge oft über andere Gleise geleitet werden, als in den Plandaten hinterlegt. Und diese müssen manuell vergeben werden, zumal es sich im Bahn-Netz oft um eingleisige Strecken handelt, auf die ein Zug nach dem anderen einfahren muss und kein Parallelisieren möglich ist. Falls bei planmäßig vorgesehenen Kreuzungen einer von zwei Zügen verspätet ist, verlagert ein manueller Eingriff des Stellwerks diese und verhindert so Zusammenstöße. Und auch, wenn ein Zug, der auf den EVS-Fahrtrassen unterwegs ist, sich einem Bahnhof – zum Beispiel dem in Stolberg – nähert, erhält der Fahrdienstleiter darüber eine Benachrichtigung und kann dies auch auf seinen Bildschirmen verfolgen. Was folgt ist ein klassisches „Anbieten-Annehmen“-System. Nimmt der Fahrdienstleiter den Zug an, weist er ihm ein bestimmtes Gleis zu, auf dem dieser hält oder – bei Güterzügen – den Bahnhof durchquert. Aus der Technikzentrale kommt unterstützend das Signal, dass es sicher ist, dem Zug Zugang zum jeweiligen Gleis zu gewähren. Der Fahrgast im Zug merkt von diesen Entscheidungen nichts. Und gerade bei Güterzügen ist es letztlich egal, ob der Zug den Bahnhof auf Gleis 6, 7 oder 8 passiert. Finden aber außerplanmäßige oder kurze Bauarbeiten, die in den Softwares im Stellwerk nicht gespeichert sind, auf einem bestimmten Gleis statt, macht es für den Arbeiter doch einen enormen Unterschied, ob dort nun ein Zug einrollt oder nicht.

Im Stellwerk in Stolberg gibt es also 365 Tage im Jahr, 7 Tage in der Woche und 24 Stunden pro Tag allerhand zu tun, denn Weichen, Sperren und Übergänge stellen sich wie ihr seht nicht von allein. Ein Glück, dass wir uns als Fahrgäste aber ganz entspannt zurück lehnen und Fahrdienstleiter und Technik ihre Arbeit machen lassen können! 🙂