„Meine Damen und Herren. Herzlich Willkommen im Regionalexpress 4 von Aachen nach Dortmund. Unser nächster fahrplanmäßiger Halt: Aachen Schanz. Wir halten unter anderem in Herzogenrath, Geilenkirchen, Erkelenz, Rheydt, Mönchengladbach, Neuss, Düsseldorf, Wuppertal, Hagen und unsere Endstation ist Dortmund Hauptbahnhof. Wir wünschen Ihnen eine angenehme Reise.“ Eine Durchsage, wie sie jeder Zugfahrer kennt. Danach dauert es oft nicht lang, bis von der gleiche Stimme die freundliche Aufforderung ertönt, die Fahrausweise vorzuzeigen. Hinter der Stimme, die mit uns im RE4 von Aachen nach Dortmund unterwegs ist, steckt Hans-Joachim Berger, Schaffner bei der DB-Regio, Karnevalist und ehemaliger Gastro-Chef in einem Aachener Kasino. Wie das alles zusammenhängt? Wir haben da mal nachgehakt…

"Wie die Jungfrau zum Kinde…“

Dass Hans-Joachim Berger einmal in Aachen leben und als Schaffner bei der DB-Regio arbeiten würde, hätte er als junger Mann nicht unbedingt gedacht. Nach dem Abitur wollte der gebürtige Dortmunder nämlich eigentlich eine Ausbildung zum KFZ-Mechaniker antreten, um anschließend Fahrzeug Technik zu studieren. „Die Rechnung hatte ich ohne meinen Vater gemacht, der davon überzeugt war, dass das nichts für mich ist.“ Was folgte, war eine Ausbildung zum Bankkaufmann. „Da habe ich dann aber relativ schnell gemerkt, dass das nun wirklich nichts für mich war. Lukas der Lokomotivführer wollte ich aber zu dem Zeitpunkt trotzdem noch nicht werden“, lacht er.

Nach einigen Zwischenstationen, verschlug es ihn in eine ganz andere Richtung. Er wurde Leiter der Gastronomie des Kasinos in Aachen, war 15 Jahre lang für die Westdeutschen Spielbanken tätig. Weil die Kasino-Gastronomie aber 2014 geschlossen wurde, erhielt Berger eine Abfindung und war erst einmal arbeitslos. „Weil die Abfindungssumme natürlich nicht bis zur Rente gereicht hat, musste ich mich nach etwas Neuem umsehen. So kam ich dann – wie die Jungfrau zum Kinde – zur Deutschen Bahn.“ Auf die Ausbildung zum Schaffner wurde Berger durch die Agentur für Arbeit aufmerksam. Sie erfolgte dann letztlich durch eine Tochtergesellschaft der Bahn, die DB Training, und nach 4 Monaten war Berger dann ganz offiziell „Kundenbetreuer und Zugbegleiter im Nahverkehr“. Seine Aufgabenbereiche: An- und Durchsagen, die Kontrolle der Bahnsteige an jedem Halt des Zuges (wozu der Zugbegleiter physisch mit beiden Beinen auf dem jeweiligen Bahnsteig stehen muss), die Kontrolle der Fahrausweise und die Behebung leichter technischer Defekte. Fällt beispielsweise die Klimaanlage aus, muss Berger nicht direkt den Notstand ausrufen, sondern kann erst einmal versuchen, das Problem zu beheben. Während der RE4, in dem wir Berger begleiten, den Aachener Hauptbahnhof um 8:00 verlässt, ist der Schaffner schon seit einigen Stunden auf den Beinen. Sein Dienstbeginn: 3:56. Bis er Feierabend machen kann, dauert es dann zwischen 8 und manchmal sogar 11 Stunden. Doch beschweren will sich Berger nicht: „Mir macht mein Job Spaß. Und früh aufstehen oder lange arbeiten, das bin ich aus meinem alten Job gut gewöhnt.“

"Der Lokführer ist der Chef des Zuges.“

Während der Fahrt unterliegt der Schaffner dem Kommando seines Kollegen, der den Zug steuert: dem Lokführer. Bevor eine Fahrt für den Zugbegleiter beginnt, meldet er sich daher beim Lokführer und fragt, inwieweit er diesen unterstützen kann. „Heute haben wir so einen Fall. In Herzogenrath kann der Lokführer den Bahnsteig nicht gut einsehen, weil der in einer Kurve liegt. Daher leiste ich gleich Abfertigungshilfe.“ Das bedeutet: Berger gibt dem Lokführer ein Signal, sobald er den Einstieg aller Passagiere für abgeschlossen hält. Die berühmte gehobene Hand eines Schaffners am Bahnsteig. „Der Lokführer ist der Chef des Zuges. Ich folge also seinen Ansagen. Wenn ich von ihm zum Beispiel die Durchsage erhalte, dass ihm ein Türblinken angezeigt wird, dann heißt das für mich, möglichst schnell herauszufinden, welche Tür klemmt. Entweder schaffe ich es, die Tür wieder ans Laufen zu bringen, oder markiere die defekte Tür mit dem berühmten „Türe Defekt“-Zettel. Den kennt wohl jeder Fahrgast.“

"Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es auch hinaus.“

Doch Berger steht bekanntermaßen nicht nur mit dem Lokführer in Kontakt, sondern in aller erster Linie mit seinen Fahrgästen. Ein freundlicher und verständnisvoller Umgang mit ihnen ist für Berger selbstverständlich. Vor allem während der Kontrolle der Fahrausweise ist ihm das wichtig. „Zu meinem Schrecken habe ich jetzt erfahren, dass wir am Montag den 11.11. haben“, lacht Berger. „Ich muss das närrische Volk sehr wahrscheinlich zurück nach Aachen fahren. Natürlich gibt es Leute, die im alkoholisierten Zustand zu Aggressivität neigen, aber ansonsten ist das echt lustig. Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es auch hinaus. Wenn man einen lockeren Spruch auf den Lippen hat, kommt das bei den Fahrgästen immer gut an.“ Seine Lieblingsfahrgäste? „Na, Junggesellinnen-Abschiede. Vor allem, wenn das schon ältere Herrschaften sind. Dann frage ich immer, ob das betreutes Trinken ist“, lacht Berger.

Berger ist eine echte rheinische Frohnatur und außerdem bekennender Borussia Dortmund-Fan. „Ich bin quasi auf der Südkurve groß geworden.“ Als Zugbegleiter hat er natürlich auch schon oft Fußball-Freunde vom FC Schalke von Auswärtsspielen nach Hause transportiert. „Bei denen gebe ich mich durchaus als Dortmund-Anhänger zu erkennen. Und dabei hatte ich niemals Probleme. Wenn man das mit Humor löst und vernünftig mit den Leuten umgeht, dann passt das alles.“ Er selbst empfindet Fan-Gruppen meistens als angenehme Fahrgäste. „Ich persönlich hatte mit Fußball-Fans nie wirklich Probleme. Klar, hört man manchmal auch was anderes. Aber bei mir benehmen die Jungs sich. Ich habe einmal darum gebeten, dass das Abteil aufgeräumt verlassen wird. Und als sie in Dortmund ausgestiegen sind – siehe da – da war keine Bierflasche mehr im Zug.“

"Ich hatte die Hände aufgeschürft und den Fuß verstaucht.“

Doch nicht jede Situation kann Berger mit Gelassenheit, Freundlichkeit und Humor lösen. Vor allem während der Fahrausweis-Kontrolle kann es schonmal brenzlig werden, denn es gibt Schwarzfahrer, die äußerst aggressiv reagieren. „Es gab einen extremen Fall, in dem der Fahrgast, der kein Ticket hatte, mich an der Jacke aus dem stehenden Zug rausgerissen hat und abgehauen ist. Ich hatte die Hände aufgeschürft und den Fuß verstaucht. Der Fahrgast konnte über die Gleise fliehen.“ In solchen Fällen wird umgehend die Transportleitung in Duisburg informiert und der Zugbegleiter muss einen elektronischen Bericht über den Angriff schreiben. Berger erstattete letztlich Anzeige, der flüchtige Fahrgast konnte ermittelt werden. Oft komme so etwas nicht vor, doch es ist nicht die einzige Geschichte dieser Art, die Berger uns erzählt. „Ich kriege natürlich auch mit, wenn Fahrgäste sich streiten, Menschen provoziert werden. Als einmal vier jugendliche Fahrgäste von einem anderen Fahrgast provoziert wurden und ich mich schützend vor sie gestellt habe, wollte der Typ mit Fäusten und Füßen auch auf mich los. Das kann natürlich passieren. Ich kann in solchen Fällen dann vom Hausrecht des Zuges gebraucht machen. Daher habe ich den Provokateur dann des Zuges verwiesen.“ Was dann oft folgt, sind Schimpftiraden. „Aber das geht bei mir hier rein und da raus.“ Genau aus solchen Gründen ist der Nachname Bergers auch nur sein Alibi-Name. „Den darf sich jeder Zugbegleiter aussuchen. Er dient uns als Schutz für Extremsituationen.“

Die Fahrgäste in genau diesen Extremsituationen wieder runterzubringen, das ist wohl das anspruchsvollste an Bergers Job. „Das hat dann aber nicht immer etwas mit Auseinandersetzungen zu tun. Oft haben Passagiere auch einfach Angst, ihre Anschlusszüge zu verpassen, sind wegen Verspätungen aufgebracht.“ Da kommt Berger ins Spiel, der Lösungsmöglichkeiten offerieren muss. Dazu ist er mit einem Diensthandy ausgestattet, auf dem ein Programm installiert ist, das Fahrverläufe und alle möglichen Anschlüsse in Echtheit anzeigt. Darüber bezieht er auch seine Informationen für die Anschlussansagen. „Was der Fahrgast dann braucht, sind Informationen. Die wollen natürlich wissen, wie es weiter geht. Und dafür bin ich ja da.“

"Der Kontakt mit den Menschen macht mir an meinem Job am meisten Spaß.“

Wenn Berger privat unterwegs ist, ist er nicht nur Borussia Dortmund Fan, sondern liebt auch den Karneval. „Ich bin Mitglied der Öcher Penn, habe eine AKV-Ehrenkappe.“ Außerdem ist er verheiratet, hat eine Tochter, die in Polen studiert, und 2 Hunde. „Meine Frau und ich verbringen unsere Ferien natürlich oft in Polen bei unserer Tochter. Da können wir hinfahren und die Hunde mitnehmen.“ Seine Mädels schleppen ihn dann auch gerne mal auf die ein oder andere Shopping-Tour mit. „Einmal im ZARA drin, komme ich da so schnell nicht mehr raus“, grinst er.

Dass er ein Familienmensch ist, der den Kontakt zu Menschen mag, offen, fröhlich und gut gelaunt ist, merken wir nicht nur in seinem Umgang mit den Fahrgästen und während unseres Gesprächs, sondern vor allem auch im Pausenraum in Mönchengladbach. Hier wartet Berger auf seinen Anschlusszug, in dem er den letzten Teil seiner Schicht eingesetzt ist. Die wartenden Zugbegleiter kommen ins Gespräch, Berger ist mit einigen von ihnen bekannt. Die Stimmung ist ausgelassen, die DB-Angestellten tauschen Anekdoten aus, lachen. Wenn es im Pausenraum einmal ruhiger zugeht, kann Berger auf dem Tablet, das ihm die Deutsche Bahn zur Verfügung stellt, schon einmal die Ankunft der nächsten Züge checken. Sein Arbeitgeber stattet aber auch die private Nutzung. „Nicht schlecht, oder?“, grinst Berger.

Nach seiner Pause geht es für Berger als Zugbegleiter des RE4 Richtung Aachen zurück nach Hause. Kurz vor dem Einstieg erkundigt er sich noch bei seiner Vorgängerin, die er nun ablöst, was es zu beachten gilt. „Alles ruhig“, resümiert diese. Auf Berger wartet eine entspannte Fahrt, auf der dieses mal lediglich die Fahrschein-Kontrolle und eine Abschluss-Durchsage anfallen. Keine Fußball-Fans, keine Junggesellen-Abschiede, keine Schwarzfahrer, keine defekten Türen. Doch eigentlich sind es gerade diese Fälle, die Berger seinen Job spannend finden lassen. „Der Kontakt mit den Menschen jeglicher Art macht mir an meinem Jobs am meisten Spaß“, schließt Berger unser Interview ab, greift zum Mikrofon und sagt die Endstation, den Aachener Hauptbahnhof an. „Für meine Durchsagen wurde ich übrigens schon von meinem Team-Leiter gelobt. Sachlich-freundlich nannte er sie. Und das, obwohl er Schalke-Fan ist.“