Zentral, vielfältig – aber vor allem eines: ambivalent. Der Aachener Bushof ist aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Und er polarisiert. Seit fast fünfzig Jahren ist er der wichtigste Verkehrsknotenpunkt der Stadt. Zwölf Haltestellen werden täglich von 55 verschiedenen Buslinien angefahren und es herrscht ein buntes Treiben aus Fahrgästen, Personal, Passanten und Anwohnern. Doch leider verbinden viele nichts Gutes mit ihm, seit einigen Jahren hat er einen schlechten Ruf. Sein Image? Dreck, Lärm und Kriminalität. Den Aachenern und den Bewohnern des Viertels war schon lange klar: Es musste etwas passieren. Und hier kommt Heidemarie Ernst ins Spiel. Sie leitet die „Koordinationsstelle Bushof“ der Stadt Aachen und hat uns für den Blog verraten, was ihre Pläne für die Zukunft sind und welche Erfolge sie schon verbucht hat – unter dem Motto: Gemeinsam mehr erreichen.

Heidemarie Ernst

Dipl.-Sozialarbeiterin und Leiterin der Koordinationsstelle Bushof

Heidemarie Ernst ist Diplom-Sozialarbeiterin mit 36 Jahren Berufserfahrung, die sie in verschiedenen sozialen und kommunikativen Bereichen in den letzten Jahrzehnten sammelte. Einer ihrer Schwerpunkte war dabei die Flüchtlings- und Wohnungslosenberatung. Im Gespräch mit ihr wird schnell klar: Das war nicht nur viele Jahre Heidemarie Ernsts Arbeit, sondern vor allem ein Herzensprojekt. „Menschen und vor allem Kinder lagen mir schon immer am Herzen. Einer der Gründe, warum ich damals Soziale Arbeit studierte und mich letztlich für meinen Werdegang entschloss.“ Doch Heidemarie Ernst entwickelt sich weiter und arbeitete zudem viele Jahre für die Stadtverwaltung im Bereich Gesundheitsmanagement. Dort absolvierte sie zeitgleich eine Ausbildung im Bereich Psychotrauma-Beratung. Und damit nicht genug: Sie ist ausgebildete Mediatorin und ein Profi im Gebiet Gruppendynamik und Teamarbeit. All diese Kompetenzen entwickelten sie als Integrationsbeauftragte der Stadt Aachen weiter. „Für mich war es immer ein Anliegen, die verschiedensten Leute, egal aus welcher Schicht, welchem Kulturkreis oder welcher Religion, miteinander auf Augenhöhe ins Gespräch zu bringen“, erklärt sie. Ein Talent, das sie zur perfekten „Bushof-Kümmerin“ machte. Vor zweieinhalb Jahren rief sie – im Auftrag von Politik und Verwaltungsleitung – also das Netzwerk Bushof ins Leben. Heidemarie Ernst kümmert sich seitdem um die Zustände vor Ort, packt an, wo sie nur kann, und sorgt dafür, den zentralen Busbahnhof wieder in ein besseres Licht zu rücken. „Es gibt hier sehr viele und heftige Probleme. Für mich war es vor allen Dingen wichtig, zu ergründen, wie man eine Situation, die von Resignation, Verzweiflung, Depression und Aggression geprägt ist, ändern kann.“ Also machte sie es sich zur Aufgabe, durch Kommunikation und konstruktive Verständigung, ein funktionierendes Netzwerk aus verschiedenen Akteuren innerhalb und außerhalb der Verwaltung und Bürgern auf die Beine zu stellen, dass die Lage rund um den Bushof verbessert. Und so viel können wir an dieser Stelle schon mal verraten: Ihre Strategie ging und geht auf.

Aber beginnen wir von vorne. Als das Netzwerk Bushof 2019 ins Leben gerufen wurde, suchte Heidemarie Ernst zunächst den Kontakt mit Anwohnern und Geschäftstreibenden rund um den Bushof. Dazu verschickte sie über 2.000 Briefe, um mit den Menschen in den Dialog zu treten. Große Unterstützung fand sie auch bei der örtlichen Presse, wodurch die Bürger auf sie aufmerksam wurden. Die erste Resonanz? – „Das war eine Welle aus Wut und Verzweiflung“, erinnert sich Ernst. Die Situation war für viele Anwohner und Passanten schon lange unerträglich geworden. Doch ein konkreter Ansprechpartner, an den man sich mit Sorgen, Problemen, Beschwerden oder Ängsten wenden konnte, fehlte. „Die Menschen haben sich einfach alleine gelassen gefühlt. Sie hatten den Eindruck, dass nichts passiert, egal, an wen sie sich wendeten“, erklärt Heidemarie Ernst. Ihre Analyse-Arbeit war gefragt. Auf Basis zahlreicher Gespräche, E-Mails und Treffen ließ sich die Lage am Bushof dann sehr schnell abbilden: Alle wollten Veränderung. Denn das Gebäude und gesamte Ambiente war so sehr in die Jahre gekommen und vernachlässigt worden, dass es durchweg verschmutzt und an vielen Stellen beschädigt war. „Ideen für eine Neugestaltung des Bushofs stehen zwar schon länger im Raum, allerdings wird dieser Entwicklungsprozess bis zum fertigen Ergebnis noch Jahre dauern. In diesen Jahren kann man diesen Platz und das Gebiet rund herum nicht einfach weiter verkommen lassen. Trotzdem hat kaum mehr jemand die Notwendigkeit gesehen, etwas an der Situation zu verbessern. Die meisten haben gedacht, die Vorhaben, das Gebiet zu erneuern, passieren übermorgen. Dann wurde einfach nicht mehr investiert und sich nicht mehr gekümmert. Die Leidtragenden waren dann die Bürger.“

„Wenn ich daran denke, kommt die Kämpferin in mir raus. Für Kinder und Jugendliche muss es ein sicheres Umfeld geben, sie müssen den Weg zur Schule froh und gut bewältigen können.“

Auch die Umgebung rund um das Bushof-Gebiet wurde zunehmend unattraktiver für Ladenbetreiber. Die leerstehenden Geschäftsräume verwandelten sich in Wettbüros, Spielhallen oder Shishabars. Außerdem waren Drogen ein großes Problem. Der Grund? Es gibt am sowie rund um Bushof und Kaiserplatz einige der wenigen Arztpraxen in der Region, die Methadonsubstitution durchführen. Das zieht natürlich viele Suchtkranke an. „Und die betroffenen Menschen haben Druck, Geld zu beschaffen, um zusätzlich Drogen oder Alkohol kaufen zu können. Und das wiederum führt zur Kriminalität“, erzählt Heidemarie Ernst. Bei einem Netzwerktreffen habe es jemand mal so ausgedrückt: „Der Bushof ist ein Ort, der sich nicht wehren kann. Es gibt viele dunkle Ecken, viele Winkel und wenig Möglichkeit zur Kontrolle. Außerdem gibt es in der Umgebung viele Einrichtungen und Institutionen, an die Leute sich richten können, um sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern.“ Heidemarie Ernst bringt es auf den Punkt: „Die Frage ist, ob der Innenstadtraum die richtige Lage dafür ist. Hier ist viel Verkehr, hier ist es laut, es gibt viel Bewegung. Dass sich die Anwohner hier dann beeinträchtigt fühlen, muss man sehen, akzeptieren und angehen.“ Was Heidemarie aber immer wieder betont: „Es geht nicht um Vertreibung. Jeder Mensch ist in Aachen willkommen und jeder hat hier seinen Platz.“ Es sei nur wichtig, dass jeder sich im öffentlichen Raum so verhalte, dass andere davon nicht beeinträchtigt werden. „Wenn Gruppen öffentliche Räume stark dominieren, ist dies manchmal ein Hinweis darauf, dass attraktive Aufenthaltsorte fehlen“, erklärt sie. Vor allem eine Personengruppe liegt ihr in diesem Zusammenhang besonders am Herzen: Kinder und Jugendliche. Denn jeden Tag passieren zahlreiche Schülerinnen und Schüler den Bushof auf ihrem Schulweg. „Wenn ich daran denke, kommt die Kämpferin in mir raus. Für Kinder und Jugendliche muss es ein sicheres Umfeld geben, sie müssen den Weg zur Schule froh und gut bewältigen können. Mit der Stadtbibliothek gibt es gleich hinter dem Bushof einen schönen und sicheren Aufenthaltsort für Kinder und Jugendliche in der Innenstadt. Dieser Ort muss aber auch sicher erreichbar sein. Vor zwei Jahren war das am Bushof nur eingeschränkt möglich“, erinnert sie sich.

Doch seitdem ist einiges geschehen. Heidemarie Ernst hat die Situation beobachtet, Probleme identifiziert und sich Unterstützung geholt und gefunden – bei der Verwaltung, der Polizei, Anliegern und sozialen Akteuren. Zwischen unterschiedlichsten Gruppen fungiert sie seither als Kompass und erschafft ein buntes Netz aus Helfern und Mitwirkenden. Ihr Fokus lag zunächst auf drei Schwerpunkten: Sauberkeit, Sicherheit und Soziales. „Als Erstes musste man natürlich gucken, dass alles Kaputte repariert wurde, gesäubert wurde und die Kontrollen gut abgestimmt waren. Das Sicherheitsgefühl musste wieder verstärkt werden.“ Dazu nahm sie sich immer wieder einzelne Gebiete oder Themen vor, um diese systematisch, Schritt für Schritt zu verbessern. Zum Beispiel wurde ein Urinal aufgestellt, um die Verschmutzung zu reduzieren. Außerdem beseitigte man Schmierereien, kümmerte sich um Rattenplagen, pflanzte Beete. In Zusammenarbeit mit der dem Ordnungsamt, der E.V.A, der ASEAG und der AG Stadttauben initiierte Ernst zudem tierfreundliche Maßnahmen, um die Tauben in der Busunterfahrt umzusiedeln.

Die Parkhaus-Abluftanlage gestaltete der Künstler Matthes Straetmans mit Graffiti professionell um. Und hier blieb es nicht nur beim Sprayen: Er und Heidemarie Ernst kamen währenddessen mit vielen Leuten ins Gespräch. „Vermutlich hätten wir ohne Kommunikation in einer Woche fertig sein können, aber wir haben vier gebraucht“, lacht sie. „Denn die Leute suchten den Dialog, haben mir verraten, was sie belastet und was sie sich wünschen. Es gab auch viel Lob für unsere Ideen. In dem Graffiti haben wir viele Dinge – auch auf Vorschlag von Passanten – visualisiert, die man mit Aachen und dem Bushof verbindet. Das war eine richtig coole Aktion.“ Während unseres Interviews trifft Heidemarie Ernst auf die Betreiberin eines neben dem Bushof gelegenen Fotostudios. Stephanie Jünger genießt zu dem Zeitpunkt einen Kaffee vor ihrem Ladenlokal und freut sich sichtlich, Heidemarie Ernst zu sehen. „Das hätte ich niemals für möglich gehalten, einmal vor einem bunten Blumenbeet, auf einer sauberen Straße, unter einer neuen Straßenlaterne hier am Bushof in meiner Pause einen Kaffee zu trinken. Aber Heidemarie Ernst war da, hat uns zugehört, angepackt, die Situation verbessert. Wir haben ihr wirklich viel zu verdanken.“

Natürlich tauchen auch immer wieder neue Schwierigkeiten, Probleme und Herausforderungen auf. Aber vor diesen scheut Heidemarie Ernst nicht zurück, sondern stellt sich ihnen stets aufs Neue. „Eine Toilette ist zum Beispiel in Planung. Es wäre für die Gesamtsituation wirklich sehr wichtig, dass sie bald hier steht. Aber dann taucht in der Tiefe ein unbekannter Schacht auf und das verzögert die Baumaßnahme wieder, aber die Toilette kommt – versprochen.“ Doch nicht die Toilettenplanung ist primär, was Ernsts Arbeit so wichtig macht. Sie bringt die verschiedensten Menschen zusammen und schafft so neue Verbindungen und Chancen. „Ich versuche immer dafür zu sorgen, dass Menschen sich wohlfühlen, dass sie sicher sind und sich miteinander verständigen können. Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Wenn das gelingt, dann ist das für mich die pure Freude.“ Heidemarie Ernst legt besonderen Wert darauf, den Leuten immer ein offenes Ohr zu bieten. Denn Veränderungen, egal, ob positiv oder negativ, lösen immer Gefühle aus: „Wenn die Menschen intensive und starke Gefühle, wie zum Beispiel Hilflosigkeit, empfinden, brauchen sie jemanden, mit dem sie sich darüber unterhalten können. Und sie müssen einen Weg erkennen, wie Probleme gelöst werden. Wenn es dann Bürgern gelingt, für eine Straßenlaterne an einem vormals dunklen Ort zu sorgen, ist das Gefühl entstanden, etwas bewirken zu können. Zu helfen und gemeinsam mehr zu erreichen, das ist meine Aufgabe.“ Als Ansprechpartnerin ist sie in ihrem Büro in der Blondelstraße 9-21 daher direkt vor Ort zu erreichen.

Und es zeigt sich: Ihr Tatendrang fruchtet. Die etlichen Beschwerden, die geballte Wut und die
Verzweiflung, die sie zu Beginn des Projekts zu spüren bekam, gibt es in dieser Form nicht mehr. „Klar, es rufen immer noch ab und zu Leute an, um über Probleme zu reden. Das ist ja auch richtig so. Aber wir können ganz ruhig darüber sprechen und gemeinsam überlegen, was wir dagegen tun. Der existentielle Stress ist raus aus dem Thema“, lächelt sie. Der Weg zum Image-Wandel ist noch lang, aber der Bushof ist auf einem guten Weg – dank aller Mitwirkenden. Und Planungen für die Zukunft gibt es auch – wenn Corona keinen Strich durch die Rechnung macht. „Konzerte, Theateraufführungen, vielleicht sogar eine fest installierte Theaterbühne, ein Ort, an dem Kinder – neben der Stadtbibliothek – ihre Kreativität entfalten können. All das soll hier mit uns und für uns alle entstehen“, resümiert Ernst. Denn eines ist klar: Es handelt sich beim „Projekt Bushof“ um ein Gemeinschaftsprojekt, das nur mit vielen helfenden Händen und Ideen stemmbar ist. Wir sind sehr gespannt und freuen uns auf alles, was am Aachener Bushof auch in Zukunft noch gemeinsam erreicht wird.