Es gibt Menschen, die einen Raum betreten und ihn mit ihrer positiven Ausstrahlung direkt für sich einnehmen. Renate Vassen ist eine von diesen Menschen. Sie lacht, sie strahlt, sie erzählt: ein Mix aus witzigen Anekdoten und ernsten Themen – ein echtes Öcher Original eben. Im Herzen des Bushofs betreibt sie den Kult-Kiosk ‚Renate’s Kaffeestübchen‘. Wir haben sie getroffen.

Renate Vassen

Inhaberin des Kiosks „Renates Kaffeestübchen“ und „gute Seele“ des Bushofs

„Von fünf bis 19 Uhr bin ich die gute Seele am Bushof.“

Es ist früh morgens im Herzen Aachens, die Sonne ist schon aufgegangen und auch der Verkehr läuft bereits auf Hochtouren – es ist Primetime im Berufsverkehr. So herrscht natürlich auch Hochbetrieb am Aachener Bushof und genau hier steht eine blonde Frau, die uns herzlich begrüßt und eigentlich gerade die frühen Pendler und einen ASEAG-Mitarbeiter (wie wir später erfahren seit Jahren ein guter Freund von Renate) mit frischem Kaffee und belegten Brötchen versorgt. Seit 45 Jahren arbeitet Renate hier – anfangs noch als Angestellte der Eltern, seit 32 Jahren ist sie selbst die Inhaberin. Ihr Kiosk ist das Herzstück des Bushofes, quasi eine Institution und von dem Platz nicht wegzudenken.

Dass Renate eine echte Powerfrau ist, wird wohl jedem schnell klar, der mit ihr nur ein paar Worte wechselt. Um vier Uhr morgens steht die 50-Jährige Aachenerin schon vergnügt beim Bäcker ihres Vertrauens, um die Brötchen für den Tag zu holen. Ab fünf trifft man sie dann in ihrem Kiosk an. Früh morgens bedient sie vorwiegend Pendler und Arbeiter, die von der Nachtschicht kommen. Danach taumeln um sieben Uhr langsam die Schüler ein. „Der Kiosk geht mit den Stoßzeiten“, erklärt Renate uns. Es sei aber immer etwas zu tun, da Aufgaben wie Buchhaltung, Logistik und Einkäufe auch komplett eigenständig von ihr übernommen werden. Um 19 Uhr schließt Renate den 13 Quadratmeter Kiosk – was aber noch längst nicht Feierabend für die zweifache Mutter und Oma bedeutet.

„Der Kiosk ist mein Leben. Es gab nie eine andere Option. Schon immer war mir klar, dass ich den Laden mal übernehmen werde.“

Renates oberstes Credo? Für sie ist ihr Job weit mehr, als Kunden zu bedienen, Waren zu verkaufen und Kaffee zu kochen. Sie ist gleichzeitig auch Freundin und manchmal sogar Seelsorgerin für ihre Stammkundschaft, denn sie hat immer ein offenes Ohr für die Probleme, Sorgen und Gedanken ihrer Gäste. Ihre Kundschaft schätzt nicht nur den Kiosk und den hervorragenden Kaffee, sondern vor allem Renates offene, ehrliche und anpackende ‚Öcher-Art‘. „Aber nicht nur für meine Besucher ist der Aufenthalt im Kiosk wie eine kleine Portion Balsam für die Seele, auch mir selber haben die vielen Gespräche bei meinen eigenen privaten Problemen geholfen. Ich konnte so beispielsweise den Tod meines vorherigen Mannes besser verarbeiten und verkraften.“ Doch Trübsal zu blasen, ist für Renate keine Option – also lächelt sie lieber und erklärt: „Andere fallen in ein Loch, aber mich hat der Laden aufgefangen. Ich treffe hier Anwohner, Stammgäste, Busfahrer – also ich kenne nicht alle Fahrer mit Namen aber ich weiß, wie die ganze ASEAG-Belegschaft ihren Kaffee trinkt. Und eins sag ich euch: Bei mir gibt’s den aller besten Kaffee, noch richtig echten Filterkaffee aus der Glaskanne. Das schmeckt man.“ Sie lacht dabei herzlich und steckt uns damit an.

„Der Bushof ist nicht gefährlich. Man muss nur wissen, wie man mit den unterschiedlichen Leuten umzugehen hat.“

Zugegeben, der Bushof wäre wohl für die meisten Menschen nicht der attraktivste Arbeitsplatz. Auch, wenn das für Renate natürlich anders ist, kann sie die Gründe dafür aber nachvollziehen. Das Fehlen von öffentlichen Toiletten sowie die mangelnden Reinigungen tragen ihrer Meinung nach zum schlechten Zustand des Bushofes bei. „Früher wurde der Bushof in regelmäßigen Abständen professionell von der Stadt gereinigt. Heute passiert das nur noch kurz bevor das CHIO-Event beginnt. Da darf man sich nicht wundern. Ich versuche schon immer, auf einiges zu achten und sorge für Ordnung, wo es nur geht. Aber den Gesamtzustand des Bushofes kann ich natürlich auch nicht ändern.“ Der Bushof gehört teils der Stadt Aachen, und teils der Aachener Immobilien Gesellschaft – ihr Kiosk gehört zu letzterer.

Am wichtigsten ist für Renate aber, dass sie sich in und rund um ihren Kiosk wohl fühlt und jeden Tag gerne zur Arbeit kommt. „Ich hatte noch nie Angst in meinem Job. Keine Sekunde lang. Eines habe ich mir geschworen: In dem Moment, in dem ich zum ersten Mal Angst verspüre, höre ich sofort auf.“ Sie hat in den vielen Jahren gelernt, wie man mit Obdachlosen oder Betrunkenen umgehen muss. „Aber wenn ich ehrlich bin, sind die Obdachlosen gar nicht das Problem. Die sind fast alle friedlich. Stark alkoholisierte Menschen, die nach einer durchzechten Partynacht am Bushof landen, sind da viel gefährlicher und es ist schwieriger mit der Aggression umzugehen.“

„Es sind nicht die Menschen, von denen man vorurteilsmäßig denkt, dass man vor ihnen Angst haben muss. Meistens sind es ganz normale Studenten, die stark betrunken von einer Party kommen und hier Probleme bereiten.“


Durch ihre ‚große Klappe‘ (wie sie selbst sagt) schaffe sie aber, jedes Ärgernis in den Griff zu kriegen und zu bewältigen. Manche Situationen sind nicht immer einfach, aber Renate ist keine, die sich schnell unterkriegen lässt. Ihr Optimismus, ihre Lebensfreude und ihre sympathisch, fröhliche Art stecken nicht nur uns, sondern offensichtlich auch all ihre Gäste und Bushof-Besucher jeglicher Art an. „Mit diesem Kiosk hier gehe ich durch dick und dünn: Durch die guten und durch die schlechten Zeiten. Ich habe Leid gesehen, keine Frage, aber vor allen Dingen habe ich tolle Freundschaften geschlossen.“

Wer Renate gerne einmal persönlich kennen lernen, ihren exzellenten Filter-Kaffee oder die frischen Brötchen probieren und vielleicht einfach nur mal eine Runde quatschen möchte, trifft sie meistens früh morgens in ihrem Kiosk am Bushof an.

„Der Kiosk hat einige Jahrzehnte auf dem Buckel. Viele Dinge haben sich geändert.“

Im Laufe unseres Interviews wird es immer voller in Renates Kaffeestübchen. Zu unserer Freude lernen wir daher auch Renates Mutter (die vorherige Besitzerin des Kiosks) und ihren Sohn kennen. Die Rentnerin und ihr Enkel – also Renates Sohn – kommen für den morgendlichen Kaffee und ein Brötchen selbstverständlich zu Renate. „Klar, Mama hallo sagen“, grinst ihr Sohn, der gerade eine Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert und den ersten Tag seines Urlaubs genießt.

Wer Renates Mutter erlebt, weiß, woher ihre positive Art stammt. Schnell erfahren wir viel über die ‚alten Zeiten‘ des Kiosks und des Bushofs. Nicht nur die Räumlichkeiten und der Grundriss haben sich in den letzten 50 Jahren geändert, auch die jüngere Generation sei anders, im Vergleich zu damaligen Zeiten. „Früher war ja alles hier am Bushof, es gab viele Geschäfte, da wo jetzt der Dönerladen ist, war zum Beispiel ein tolles italienisches Schuhgeschäft. Und es gab viel mehr Schüler, die nach der Schule vorbei kamen, um sich eine Leckertüte zu holen. Die Zeiten haben sich geändert. Aber der Kiosk steht nach wie vor.“

„Ich hab früher immer gesagt, wenn ich einen Sohn bekomme, der wird Prinz von Aachen. Der wird auf 'nem roten Samtsessel durch den Eurogress getragen.“

Was Renate besonders sympathisch macht? Die Art und Weise, wie sie ganz offen und humorvoll Anekdoten aus ihrem Leben erzählt. Auch die Interaktion zwischen ihr, ihrer Mutter und ihrem Sohn ist geprägt von flotten Sprüchen und einem gleichzeitig liebe- und respektvollen Umgang. Ihre Leidenschaft für den Karneval beispielsweise konnte Renate nicht auf ihre Kinder übertragen, aber das nimmt sie mit Humor: „Ich hab früher immer gesagt, wenn ich einen Sohn bekomme, der wird Prinz von Aachen. Der wird auf ’nem roten Samtsessel durch den Eurogress getragen. Aber ich bin die einzige in meiner Familie, die ein Karnevals-Jeck – und auch überhaupt so jeck drauf – ist.“ Alle Anwesenden lachen herzlich. Und Renate kommt in Fahrt: „Ich liebe ja auch Köln. Du kommst rein, bist gleich mit jedem per Du. Wenn da was los ist, super geil, denn die ganze Stadt feiert! Die Cafés da, die Leute. Und Hamburg liebe ich. Ich fahr jedes Jahr nach Hamburg. Ich liebe das Nachtleben – das können Sie sich ja vorstellen. Ich könnte die Touren auf der Reeperbahn führen.“ Renates Sohn Rafael schaltet sich ein: „Mama, du liegst abends um neun Uhr im Bett, was meinst du denn mit ‚ich liebe das Nachtleben‘?“ Wieder lachen alle herzlich und Renate entgegnet ganz entspannt: „Nee Rafael, wenn ich in Hamburg bin, dann lieg ich nich um neun im Bett. Ich hab ja hier schon die Rasseln, wenn ich vor 11 im Bett liege.“

„Einen Stillstand gibt es in meinem Leben nicht. Schon von klein auf wurde mir das Arbeiten beigebracht.“


Der Kiosk ist für Renate eine Leidenschaft, die mehr ist, als ein Full-Time-Job. Sowohl zeitlich als auch symbolisch. Trotzdem reicht ihr diese Tätigkeit allein nicht. Renate hat einen Nebenjob, arbeitet in einem Fachbetrieb für Wurst- und Fleischwaren. Außerdem verfolgt sie in ihrer Freizeit noch leidenschaftlich ihre Liebe für den Karneval und für den ersten FC Bayern München. In dieser aber sehr knapp bemessenen freien Zeit kann man Renate dann außerdem auf regionalen Schlagerfesten antreffen. „Letztens haben wir einen Auftritt von Beatrix Egli gesehen – das war so klasse. Ich konnte natürlich alle Texte auswendig und mit meinem lauten Organ hat man mich auch rausgehört. Als Betarix dann das Publikum gefragt hat, ob es weiß, wann ihr neues Album rauskommt, wusste ich das natürlich sofort.“ Sie lacht. „Ich bin Aachenerin. Was soll ich sagen?  Ich liebe die Öcher. Wir ticken schon ein bisschen speziell, aber das ist meine Heimat.“

Am Wochenende liebt sie es, mit ihrem Mann, und öfter auch mal mit ihren Enkelkindern campen zu fahren oder ins Kino zu gehen. Wir fragen sie, wie ein Mensch dies alles an einem 24 Stunden Tag und einer Siebentagewoche unterbringen kann? „Ich bin schlichtweg ein Arbeitstier. Stillstehen ist einfach nichts für mich. Schon von klein auf habe ich beigebracht bekommen, dass man nur durch Fleiß und harte Arbeit was im Leben erreicht. Das habe ich auch meinen Kindern mitgegeben.“

„Meine Kinder werden den Kiosk nicht übernehmen.“

Wie es um die langfristige Zukunft ihres Kiosks steht, weiß Renate noch nicht. An Rente möchte die Fünfzigjährige auf jeden Fall noch lange nicht denken. „Der Kiosk ist mein Zuhause. Ich kann mir nicht vorstellen, hier irgendwann nicht mehr zu arbeiten.“ Ihre Tochter und ihr Sohn sind beide Altenpfleger und stehen mit beiden Beinen im Beruf. „Egal, wie es weitergeht, eins steht fest: Meine Kinder werden den Kiosk nicht übernehmen. Ich habe ihnen zu einer soliden Ausbildung geraten, das ist heutzutage die bessere Variante. Für mich war es  damals jedoch die beste Option.“

Man kann es wohl so sagen: Renate und ihr Kaffeestübchen sind vom Aachener Bushof nicht wegzudenken – und das liegt nicht nur an dem ausgezeichneten Kaffee, sondern vor allem an Renate’s herzlicher und authentischer Persönlichkeit.