Glänzende Schienen, quietschende Bremsen, Oberleitungen über den Straßen: Einst war die Straßenbahn in Aachen fester Bestandteil des Stadtbildes. Seit mehr als 45 Jahren ist dies Vergangenheit. Trotzdem sorgte das Thema seither immer wieder für Diskussionen – denken wir zum Beispiel an die Abstimmung zur Campusbahn 2013. Wir wollen der Sache auf den Grund gehen: Wie genau war das eigentlich damals, als die Straßenbahn noch ihre Runden durch Aachen drehte? Was war gut an der Aachener Straßenbahn und wie beeinflusst sie noch heute den Verkehr? Warum fand man sie irgendwann nicht mehr zeitgemäß und wieso kommt man doch nicht davon los, das Thema immer wieder zu durchdenken? Diese und weitere Fragen haben wir Reiner Bimmermann gestellt. Seit klein auf beschäftigt sich der Aachener Apotheker mit großer Leidenschaft in seiner Freizeit mit der ehemaligen Straßenbahn und dem Stadtverkehr Aachens und ist Experte auf diesem Gebiet.

„Mit einem alten Fotoapparat habe ich die Wagen fotografiert und angefangen nachzuforschen.“

„Als die Straßenbahn 1974 in Aachen eingestellt wurde, war ich dreizehn Jahre alt. Schon damals hatte ich eine große Faszination für sie. Mit einem alten Fotoapparat habe ich die Wagen fotografiert und angefangen nachzuforschen“, erinnert sich Reiner Bimmermann. Und diese Nachforschungen sollten sich über viele Jahre erstrecken: „Je mehr ich in das Thema reinkam, desto mehr Material habe ich auch gefunden. Ich habe zum Beispiel bekannte Eisenbahn- und Straßenbahnfotografen angeschrieben. Außerdem habe ich zehn Jahre lang ehrenamtlich das Archiv der ASEAG geleitet. Da kam eines zum anderen.“ Das Ergebnis seiner intensiven Recherchen war ein Buch, an dem er sieben Jahre lang schrieb.

„Früher gehörte die Straßenbahn zum Aachener Stadtbild dazu und wurde von zahlreichen Fahrgästen genutzt – sowohl in der Innenstadt als auch im Aachener Umland. Die Weltwirtschaftskrise 1929 führte allerdings dazu, dass die Leute sich die Straßenbahnfahrten nicht mehr leisten konnten und stattdessen aufs Fahrrad umstiegen oder zu Fuß gingen. Die Fahrgastzahlen brachen zusammen und haben sich auf fast die Hälfte reduziert. Daraufhin wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben, um Geld zu sparen und den Verkehr besser zu organisieren. Das Ergebnis waren die Straßenbahn-Linien 3/13“, erinnert sich Bimmermann. Diese beiden Linien fuhren ab 1933 durch Aachen. Sie fassten ehemalige Linien zu einer neuen Rundbahn zusammen und fuhren jeweils links bzw. rechts um die Stadt herum. „Wenn man aus dem Umland nach Aachen kam, musste man zwangsläufig die Rundbahnlinie kreuzen. Man erreichte mit ihrer Einführung also, dass man mit nur einem Umstieg jeden wichtigen Punkt in Aachen erreichen konnte. Das war genial gemacht. Die Motivation, aus der Krise heraus Geld zu sparen, war eine unheimliche Chance.“ Und auch heute noch basiert das Bussystem auf dem Straßenbahnsystem von damals: Die heutigen Buslinien fahren ähnliche Strecken wie die Straßenbahnen früher. Die Dreier-Linien zum Beispiel fahren auch heute noch in zwei Richtungen um die Stadt herum und entsprechen damit der Straßenbahn-Linie 3/13.

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde auch die Aachener Straßenbahn eingeschränkt. „Bis zum Sommer 1944 ist die Bahn noch gefahren. Dann wurde die Innenstadt so stark zerbombt, dass nur noch in den Außenbezirken gefahren werden konnte. Nach 1945 wurde fast das gesamte Streckennetz wieder in Betrieb genommen, eine flächendeckende Modernisierung blieb aus. Innerhalb von Aachen wurden größere Abschnitte neu trassiert und verbessert – aber das war es auch schon. Das war zu wenig, um die damalige Straßenbahn zukunftsfähig zu machen. Die Quittung war dann schließlich die Einstellung 1974“, berichtet Reiner Bimmermann. Die letzte Straßenbahn-Linie fuhr bis zum 19. September 1974 in Aachen. Seitdem war sie bis heute nie wieder Teil des Aachener Verkehrs. Aber wieso wurde sie eigentlich aus Aachen verbannt? „Das war der Zeitgeist damals. Man wollte sie einfach weg haben. Sie konnte anderen Verkehrsteilnehmern nicht ausweichen und wurde als Verkehrshindernis gesehen. Man hat außerdem moderne Busse mit einer 30 Jahre alten Bahn verglichen. Also wurde sie, anstatt sie zu modernisieren und dem neuen Verkehr anzupassen, abgeschafft. In meinen Augen ist das eine Fehlentscheidung gewesen. Selbst auf der allerletzten Linie zwischen Brand und Vaals fuhren 1974 noch 25 % aller Fahrgäste. Damit lag die Straßenbahn eigentlich goldrichtig und man hätte sie nie einstellen dürfen.“

Vor allem die grenzüberschreitenden Fahrten waren eine Besonderheit der Straßenbahn in der Region. Eine Strecke, die Reiner Bimmermann in diesem Zusammenhang erwähnt, ist die Straßenbahnverbindung zwischen Eupen und Verviers: „Vor dem Ersten Weltkrieg hat die Aachener Kleinbahn das Verkehrsnetz im heutigen belgischen Grenzraum ausführlich befahren und bis 1923 den Betrieb weitergeleitet. Dann haben die Belgier die von den Deutschen betriebenen Straßenbahnstrecken enteignet und unter belgische Verwaltung gestellt. Man wollte die Bahn mehr ins Zentrum Belgiens orientieren und hat so die Strecke zwischen Eupen und Verviers gebaut. Wenn man von Aachen aus dorthin fahren wollte, musste man in Köpfchen auf die belgische Straßenbahngesellschaft umsteigen. Während des Zweiten Weltkriegs ging das Verkehrsnetz dann wieder zurück auf die Aachener Kleinbahn. In dieser Zeit wurde die Strecke nach Verviers stark befahren. Nach dem Krieg übernahmen wieder die Belgier die Schienen, allerdings nahmen sie nur noch wenige Strecken in Betrieb. Die Straßenbahnverbindung von Eupen nach Verviers gab es noch bis 1956“, erklärt er. Damals hätte man sogar mit der Straßenbahn von Aachen bis nach Oostende fahren können – „allerdings wäre man ungefähr zwei Wochen unterwegs gewesen“, lacht Bimmermann.

Bimmermann wünscht sich eine Rückkehr der Aachener Sraßenbahn. „Schade, dass frühere Versuche dazu gescheitert sind. Es wäre schön, wenn es irgendwann doch nochmal klappt. Wenn wir als Bürger dahinter stehen, dann kann das klappen.“ Ob sich Autos, Fahrräder und Straßenbahnen irgendwann wieder die Aachener Straßen teilen werden? Wir sind auf eure Meinungen gespannt und schwelgen bis dahin in Erinnerungen an den einstigen Schienenverkehr in der Innenstadt.

Alle Bilder, die wir im Artikel verwenden, gehören Reiner Bimmermann. Sie stammen aus seinem diesjährigen Fotokalender, den er in Erinnerung an die alte Aachener Straßenbahn jährlich veröffentlicht.