Verkehrsunfälle mit gravierenden Folgen – das will wirklich niemand. Kein Rad- oder Rollerfahrer, kein Fußgänger, kein Auto-, kein LKW- und kein Busfahrer. Doch Fakt ist: Abbiegende Autos und vor allem Lastwagen oder Busse können zur Gefahr werden, sobald sie ungeschützte Verkehrsteilnehmer dabei übersehen oder diese sich im toten Winkel befinden. Abhilfe können elektronische Abbiege-Assistenten schaffen. Sie überwachen mit Sensoren die, aus Perspektive des Fahrers, rechte Seite des Fahrzeugs. Denn vor allem das Abbiege-Manöver nach rechts ist oft schwierig zu überblicken. Um Fußgängern und Radfahrern mehr Sicherheit zu gewähren, kommen die Abbiege-Assistenten nun auch bei Neuanschaffungen von Fahrzeugen im AVV, so bei den neuen Bussen der ASEAG oder WestVerkehr, und somit auf den Straßen in der Region zum Einsatz.

Ein kleiner schwarzer Kasten hinter dem Vorderrad des Busses

Rechts abzubiegen, das bedeutet für Busfahrer oft puren Stress. Sie müssen im Auge behalten, wie sich Ampeln, Fußgänger, Radfahrer und Gegenverkehr verhalten und dabei manchmal sogar auf weitere Spuren ausweichen, um überhaupt – im wahrsten Sinne des Wortes – „die Kurve zu kriegen“. Auf die Fahrer wirken dabei so viele Faktoren ein, die sich zudem im Bruchteil von Sekunden ändern, dass ein elektronisches Assistenz-System sie bei diesem Prozess zukünftig unterstützen soll. Für mehr Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer sorgt somit ein kleiner schwarzer Kasten, der an der Außenseite des Busses direkt hinter dem Vorderrad angebracht ist. Kurz: der Abbiege-Assistent namens „Sideguard Assist“.

Er überwacht die rechte Seite des Busses nach vorne, nach hinten und auf 3,40 m Breite mit zwei Radarsensoren.

Diese sind mit dem Geschwindigkeitsmesser, der Winkelstellung des Lenkrads und dem Blinker des Fahrzeugs verknüpft. So weiß das System, wie schnell der Bus fährt und ob ein Abbiegen ansteht.

Erkennen die Sensoren in genau solch einer Situation im direkten Umfeld ein Hindernis, erhält der Fahrer sowohl ein visuelles (Licht-Meldung im Armaturenbrett und unter dem Rückspiegel) als auch – wenn nötig – ein haptisches (vibrierender Sitz) Warnsignal. Im Extremfall kann das System sogar eine Notbremsung einleiten. Der Abbiege-Assistent setzt ab dem Moment ein, in dem der Bus Schrittgeschwindigkeit fährt und arbeitet bis zu einem Tempo von 35 km/h. Erreicht der Bus eine gewisse Geschwindigkeit (nämlich über 36 kmh) wird der Abbiege- zum Spurwechsel-Assistenten, den Fahrer moderner PKWs ebenfalls aus ihrem Rückspiegel kennen sollten. Ab dann blendet das System alle statischen Elemente aus und konzentriert sich nur noch auf diese, die sich bewegen. Das verhindert, dass der Fahrer im fließenden Verkehr für jedes parkende Auto oder jeden Baum, an dem er vorbei fährt, eine Warnung erhält.

Gelbe und rote Warn-Signale

Die Warnmeldungen unterscheiden sich in ihrer Bedeutung voneinander. Gelbe Meldungen gehen relativ häufig ein, nämlich immer dann, wenn das System ein nahliegendes Hindernis an der rechten Seite des Busses erkennt. Das kommt – vor allem im Stadtverkehr – natürlich regelmäßig vor. Oft hat der Fahrer dieses Hindernis, beispielsweise in Form eines parkenden Autos oder eines Baums, auch schon wahrgenommen und kann einschätzen, dass es dem Abbiege-Prozess nicht im Wege steht. Die Warnung soll dem Fahrer zu diesem Zeitpunkt lediglich mitteilen, dass sich etwas in der Nähe der rechten Seitenwand seines Busses befindet.

Kritisch wird es erst, wenn das Signal rot aufleuchtet und zusätzlich die haptische Warnung in Form eines vibrierenden Sitzes eintritt. Übersetzt heißt das nämlich dann, dass ein Hindernis beim Abbiegen im Weg stünde und es zu einer Kollision käme. Wenn dieses Hindernis im toten Winkel des Fahrers liegt oder bislang unbemerkt blieb, kann eine solche Meldung Leben retten oder schwere Blechschäden vermeiden. Dem Fahrer bleibt genug Zeit, das Abbiegen rechtzeitig zu unterbrechen und so die Kollision zu vermeiden. Das System arbeitet für diese ausgeklügelte Warn-Bewertung mit Hilfe gewisser Parameter, die nicht nur die Handlungen des Fahrzeuges (Abbiege-Prozess, Geschwindigkeit), sondern zum Beispiel auch die Bewegungen des Hindernisses mit einbeziehen. So kann „Sideguard Assist“ Fußgänger oder Radfahrer oft auch von einem Zaun oder einer Hecke unterscheiden und die Warnmeldung danach auslegen.

Intelligentes System in jedem neuen Mercedes-Fahrzeug

Entwickelt wurde das System vom Hersteller Mercedes eigentlich für den Einsatz an LKWs. Da Linienbusse aber vor ähnlichen Herausforderungen im Straßenverkehr stehen, erfolgte eine Weiterentwicklung. In der letzten Serie Citaro, die beispielsweise im ASEAG-Fuhrpark eingingen, ist der „Sideguard Assist“ fest integriert. Die ASEAG-Elektrobusse fahren ebenfalls bereits mit dem Assistenten. Wenn ein praxistaugliches Nachrüstsystem angeboten wird, könnten auch ältere Fahrzeuge damit ausgestattet werden. Zunächst sollen die Fahrer das System kennenlernen, es testen und zurückmelden, wie zufrieden sie sind. Ein zuvor eingesetztes System, das mit Hilfe von Kameraüberwachung der rechten Seite arbeitete, erwies sich beispielsweise als zu fehlerhaft. Laut verschiedener Verkehrsunternehmen habe man bisher aber große Hoffnung, da der Hersteller Updates zur Optimierung durchführen könne und fast alle Fahrer positive Rückmeldungen gäben.

Doch eins ist klar: Auch ein noch so ausgeklügeltes System kann den gesunden Menschenverstand nicht ersetzen. Und so sollte jeder Verkehrsteilnehmer – egal, ob Fußgänger, Bus-, PKW-, Rad- oder Roller-Fahrer – beim Abbiegen im Zweifel auf die eigene Vorfahrt verzichten, um Kollisionen zu vermeiden.