Wenn am Bahnhof Menschen Hilfe brauchen, ist die Bahnhofsmission die erste Anlaufstelle. Die Mitarbeiter in den blauen Westen helfen gratis, umgehend, schnell und anonym. Das Angebot richtet sich an eine breite Zielgruppe. An Reisende, die Unterstützung beim Ein- und Aussteigen oder mit dem Gepäck brauchen. An kranke Menschen, an die, die bestohlen oder verletzt wurden oder die, die süchtig, krank, verzweifelt – oder all das gleichzeitig – sind. Egal, ob in akuter oder chronischer Not: In ganz Deutschland sind an über 100 Bahnhöfen die Mitarbeiter der Bahnhofsmissionen für diejenigen da, die einen warmen Kaffee, ein offenes Ohr, etwas zu essen, eine sichere Anlaufstelle oder eine helfende Hand brauchen. So auch in Düren, wo wir für diesen Artikel zu Gast waren.

Seit über 125 Jahren gibt es die Bahnhofsmission

Die Institution „Bahnhofsmission“ blickt auf eine lange Geschichte zurück. 1894 entstand in Berlin die erste. Gegründet von einem evangelischen Pfarrer, mit dem Ziel, Frauen, die im Zuge der Industrialisierung in die Stadt zogen, einen Ort des Schutzes vor Gewalt und Ausbeutung zu bieten. In den Nachkriegsjahren der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert kümmerte sich die Bahnhofsmission an den zerstörten Bahnhöfen des Landes um zurückkehrende Soldaten, Flüchtlinge, Kinder. In den darauffolgenden Jahren richtete sich das Angebot dann auch immer mehr an die ältere Generation, die weder arm, noch auf der Flucht war, sondern schlicht und ergreifend Hilfe beim Reisen brauchte. Während in den 90er und 2000er Jahren der Bahnverkehr immer moderner und digitaler wurde, baute die Bahnhofsmission ihr Angebot für Reisende, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, aus.  Ein- und Umsteigedienste sowie mobile Reisebegleitungen ergänzen seither das Angebot in den Bahnhöfen. Und auch, wenn die Gründung der ersten evangelischen Bahnhofsmission durch einen Pfarrer bereits über 125 Jahre zurück liegt: Gemeinsam betreiben sie auch heute noch die evangelische und katholische Kirche, bzw. die Organisationen Diakonie, Caritas und IN VIA. Christliche Werte wie Nächstenliebe, Toleranz und Respekt vor jedem Menschen werden so auch in Düren alltäglich gelebt.

Denn nicht nur in den Großstädten, sondern eigentlich im ganzen Land, wurden Bahnhöfe in den letzten Jahrzehnten immer mehr zum Umschlagplatz für Drogen und somit zu Orten, an denen sich immer mehr Menschen in äußerst schwierigen Lebenslagen aufhalten. Nicht nur in Düren ist die Bahnhofsmission daher primär Anlaufstelle für suchtkranke, obdachlose und arme Menschen.

"Obdachlose sind unsere Hauptgäste. Und Menschen aus dem Quartier, meistens mit psychischen Problemen – und viele ältere Menschen."

Die Sozialtherapeutin Karin Zettler leitet seit zweieinhalb Jahren die Bahnhofsmission in Düren. Zusammen mit vier ehrenamtlichen Mitarbeitern kümmert sie sich um diejenigen, die dringend Hilfe brauchen. Ihre Hautgäste sind Obdachlose. Die meisten davon kommen regelmäßig, Zettler und ihre Mitarbeiter kennen die Namen und Hintergrundgeschichten. Aber auch Reisebegleitungen oder Ein- und Ausstiegshilfen gehören zum alltäglichen Angebot. „Wir haben in Düren ja einen recht aktiven Blindenverein, sodass wir viele blinde Menschen hier am Bahnhof antreffen, denen wir dann beim Reisen helfen.“ Egal, ob Fahrplanauskunft oder Umsteigehilfe: Die Mitarbeiter der Bahnhofsmission in Düren helfen nicht nur in der Obdachlosenbetreuung, wo sie nur können. „Die Gäste melden sich entweder per Mail oder Anruf bei uns an, schildern ihren Umstieg und gegebenenfalls auch ihre Behinderung. Wir können sie dann schon unten am Taxi abholen und zum Gleis bringen – oder umgekehrt.“ Und manchmal landet auch ein Neugieriger, der im Vorbeilaufen oder beim Warten auf den Zug auf die Bahnhofsmission aufmerksam wurde, am Kaffeetisch. „Bei uns ist jeder Willkommen. Egal, ob Obdachloser, Kranker, Arzt oder Richter.“

„Ich war selbst 9 Monate obdachlos und kann mich daher gut in die Situation der Gäste hineinversetzen."

Einer der vier ehrenamtlichen Mitarbeiter in der Bahnhofsmission ist Markus. „Markus ist selbst obdachlos geworden und war hier bei uns Gast. Er hat mittlerweile eine Wohnung und seine Probleme im Griff. Jetzt möchte er etwas zurückgeben“, erklärt uns Karin Zettler. „Ich muss natürlich immer aufpassen, dass meine Ehrenamtler sich nicht übernehmen. Für Menschen, die sich nie für eine Ausbildung in diesem Bereich entschieden haben, ist es manchmal schwierig, die eigene Belastungsgrenze nicht aus den Augen zu verlieren.“ Dann meldet sich Markus selbst zu Wort: „Ich war selber 9 Monate obdachlos und in einer Notunterkunft hier in Düren. Dadurch weiß ich, wie es ist. Karin, meine Chefin, war meine Betreuerin und durch sie bin ich jetzt auch hier zurück an den Bahnhof gekommen. Mir tat man etwas Gutes, dann kann ich auch etwas Gutes zurückgeben!“

Gäste der Bahnhofsmission können günstigen Kaffee (für 30 Cent), Wasser und frische Brötchen kaufen – finanziert durch Spenden. Außerdem gibt es Zeitschriften, Bücher und eigentlich auch alle 14 Tage einen Spiele-, Bastel- oder Näh-Nachmittag, der aber momentan aufgrund der Corona-Pandemie ausfällt. „Wenn es hart auf hart kommt, begleiten wir außerdem die Besuche beim Jobcenter, da unsere Gästen meist der Mut verlassen hat. Ich kann mich natürlich gut hineinversetzen, da ich auch diese Gänge zum Amt alle selbst erlebt habe.“

„Ich habe es geschafft. Doch ich muss jeden Tag dafür kämpfen, nicht wieder in alte Muster zu verfallen.“

Wer noch mehr über die Arbeit von Karin Zettler und Markus in der Bahnhofsmission in Düren erfahren möchte, ist jederzeit als Gast willkommen. "Es gibt Menschen, denen es schwerfällt, hereinzukommen. Doch wir freuen uns über jeden, der bei uns seinen Kaffee holt oder auch mal etwas in die Spendenbox wirft."

Vergleicht man das Verhältnis zwischen der Sucht- und Obdachlosenbetreuung und der Gleishilfen, zieht Karin Zettler ein klares Resümee: „Ich würde sagen 20% sind wirklich die Gleisarbeiten und durch den aktiven Blindenverein hier in Düren sind wir auf den Gleisen sehr präsent. Dennoch: 80% machen die Arbeiten mit Menschen in extremen Nöten aus, da ist ein gutes System hier vor Ort sehr wichtig.“ Ein Teil dieses Systems: Ehrenamtler Markus. „Bei mir ist der Vorteil, dass ich die obdachlosen Gäste und das Klientel verstehe. Ich weiß zum Beispiel, dass Lob hier eine große Rolle spielt.“ Doch das ist nicht alles: „Die tägliche Arbeit hier hilft mir natürlich auch, nicht in alte Muster zu verfallen. Täglich daran erinnert zu werden, dass ich die Bierflasche eben nicht mehr anrühre.“

„Zu uns kommen die Menschen, um gemeinsam Wege zu finden."

Doch das gut laufende System in Düren verdankt Karin Zettler nicht nur ihren Mitarbeitern, sondern auch einer klaren Struktur. „Ich überlege natürlich regelmäßig – genau wie andere Sozialpädagogen auch – wie ich am besten vorgehe. Ich zähle, wie viele Menschen kommen, frage mich, wie ich sie am besten abhole und wir Probleme gemeinsam in den Griff bekommen können. Wir sind im engen Austausch mit Politik und den Psychatrien in der Umgebung. Doch manches könnte auch besser laufen.“ Erst vor kurzem fand Zettler ihr demoliertes Auto, das aufgrund des Parkschildes „Mitarbeiter der Bahnhofsmission“ eindeutig ihr zuzuordnen ist, auf dem Parkplatz des Dürener Bahnhofs wieder. „So etwas passiert natürlich bei der Arbeit mit Suchtkranken. Auf der einen Seite erntet man unglaublich viel Dankbarkeit. Doch wenn ich Regeln durchsetzen muss, zum Beispiel mit einem Platzverweis, passiert auch so etwas. Das tut natürlich weh. Auch im Portemonnaie.“

An diesen herausfordernden Punkten ihrer täglichen Arbeit, hilft Karin Zettler vor allem der kirchliche Einfluss der Bahnhofsmission. „Es ist einfach wichtig, dass wir ein christliches Miteinander leben, wir einander absichern und auffangen. Wir sind eine kirchliche Einrichtung und vertreten daher natürlich auch diese Werte. Letztendlich ist ja auch genau das unser Auftrag. Nämlich, moralische Werte zu verkörpern. Deswegen lautet die Basis meiner Arbeit hier am Bahnhof in Düren auch schlicht und einfach: „Was du nicht willst, was man dir tut, das füg auch keinem anderen zu!““