Das Jahr 2021 neigt sich dem Ende zu, was bleibt, sind viele prägnante Erinnerungen. Dazu zählt unter anderem die Hochwasserkatastrophe im Sommer, die auch Teile des AVV-Gebiets, wie Stolberg oder Eschweiler, schwer getroffen hat. Die entstandenen Schäden für die Bewohnerinnen und Bewohner sind immens und bis heute spürbar. Straßen, Häuser und Erinnerungen wurden weggespült und zerstört, einige Ortsteile waren nach der Flut unerreichbar. Auch auf den ÖPNV hat das schreckliche Ereignis große Auswirkungen gehabt. Wir haben mit den ASEAG-Kollegen Alexander Carl, Teamleiter Betriebssteuerung und Info, und Marco Donner, Fachbereichsleiter Betriebssteuerung und Verkehrslenkung, über die Katastrophe gesprochen. Sie verrieten uns, wie sie die schwere Zeit erlebt haben, vor welchen Herausforderungen der ÖPNV im Sommer stand und auch immer noch steht und welche Bilder sie bis heute nicht aus ihren Köpfen kriegen.
In ihrem beruflichen Alltag kümmern sich Carl und Donner um das operative Tagesgeschäft der ASEAG: „Das Aufgabenfeld ist relativ breit gefächert. Ich bin unter anderem für den Bereich der Betriebsleitstelle verantwortlich und für all das, was operativ draußen passiert“, erklärt Alexander Carl. „Diese Aufgaben teile ich mir mit zwei Kollegen aus der Verkehrslenkung. Wir drei mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Verkehrsmeister und die Mitarbeiter der Leit- und Informationsstelle haben daher auch alles rund um die Hochwasserkatastrophe Tag für Tag abgearbeitet“, erinnert er sich. Unter normalen Umständen sind er und sein Team dafür zuständig, dass die geplanten Fahrten aller Linien, so wie sie im Fahrplanbuch stehen, auch stattfinden – trotz äußerer Einflüsse. „Für all das, was uns daran hindert, dem normalen Fahrplan nachzukommen, sind wir im Operativen zuständig und kümmern uns um bestmögliche Alternativen und Lösungen.“ Marco Donner ist vor allem in den Bereichen der Betriebsplanung und der Infrastruktur der ASEAG tätig: „Mein Tagesgeschäft vergleiche ich manchmal mit einer Marionette: Ich muss die Fäden zusammenhalten. Dazu zählt auch die Abstimmung mit der Straßenverkehrsbehörde, ob es Behinderungen auf Strecken gibt oder ob sie reibungslos befahren werden können“, berichtet er. „Ich agiere auch als Vermittler, um in Richtung Betriebsleitung zu kommunizieren, wenn draußen etwas los ist. Das gilt zum Beispiel auch für den Weihnachtsmarktverkehr – oder eben in Katastrophenfällen, wie dem Hochwasser.“
„Dann häuften sich langsam die Meldungen, immer mehr Straßen wurden gesperrt und das Wasser trat über die Ufer.“
Selbstverständlich können sich beide noch sehr gut an den Tag der Flut erinnern. „Ich weiß noch, dass es den ganzen Tag über stark geregnet hat und gegen Abend dann aus der Eifel von den zuständigen Behörden schon erste Anmeldungen für Evakuierungen aufgegeben wurden. Die Einsatzleute fragen dann bei uns an, ob wir Fahrzeuge und Personal zur Verfügung stellen können, was wir natürlich gemacht haben. Dann häuften sich langsam die Meldungen, immer mehr Straßen wurden gesperrt und das Wasser trat über die Ufer. Das ganze Ausmaß der Situation war für mich eigentlich erst am nächsten Tag richtig fassbar“, erinnert sich Marco Donner. Das ging wohl vielen Leuten ähnlich. Richtige Vorkehrungen konnte kaum einer treffen. Alexander Carl fügt hinzu: „Grundsätzlich kann man sagen, dass wir auf Sondersituationen vorbereitet sind. Bei außerplanmäßigen Straßensperrungen oder wenn es zum Beispiel viel schneit, haben wir unsere Arbeitsabläufe in Form einer Checkliste festgelegt. Wir wissen genau, was zu tun ist. Der Unterschied ist, dass Straßensperrungen oder der Schnee meistens nach ein paar Tagen verschwinden und weitestgehend keinen Schaden hinterlassen – ganz im Gegenteil zu den Wassermassen im Juli. Wenn man dann morgens zur Arbeit kommt und hört, dass vierzig Streckenabschnitte gestört sind und ganze Linien nicht mehr fahren können, weil die Straßen einfach nicht mehr da sind, dann steht man vor einer riesengroßen Aufgabe. Die Frage war: Wie können wir unserer Beförderungspflicht nachkommen und es den Menschen ermöglichen, zum Arbeiten, Einkaufen, zum Arzt oder zur Familie zu kommen?“, erklärt Carl.
„Als wir dann dort waren, war die Zerstörung unvorstellbar.“
Um sich einen besseren Überblick über die Situation zu verschaffen, besuchten Alexander Carl und sein Team zwei Tage nach der Katastrophe die Stolberger Innenstadt: „Wir haben uns Gedanken gemacht, wie wir in irgendeiner Form ein Ersatzkonzept auf die Beine stellen können. Dazu waren wir in enger Abstimmung mit den einzelnen Städten und der Straßenverkehrsbehörde. Aber wir wollten vor allem auch mit den Menschen vor Ort sprechen. Als wir dann dort waren, war die Zerstörung unvorstellbar. Wir sind mit zahlreichen Bewohnerinnen und Bewohnern ins Gespräch gekommen, denn viele waren auf der Straße – ein Zuhause gab es ja nicht mehr“, erinnert er sich. „Dass wir mit den Menschen geredet haben, ist sehr positiv aufgenommen worden. Viele Fragen wurden an uns herangetragen und wir konnten uns einen Überblick über die Bedarfe und Sorgen machen. Das ist uns auch weiterhin sehr wichtig.“
„Wir haben geguckt, was wir mit den Linien machen, wo es möglich ist, Ersatzverkehr anzubieten und welche Sonderfahrpläne wir aufstellen können.“
Im Anschluss machte sich das Team direkt an die Arbeit. Ihr Ziel: Es sollte so schnell wie möglich, so viel wie möglich wieder fahren. Deshalb saßen sie teilweise bis spät in den Abend an der Planung: „Wir haben geguckt, was wir mit den Linien machen, wo es möglich ist, Ersatzverkehr anzubieten und welche Sonderfahrpläne wir aufstellen können. Eine schwierige Situation gab es im Bereich Vicht und Zweifall. Hier konnte man Ortsteile nur mit schwerem Gefährt erreichen. Da sind wir dann sofort in Kontakt mit den zuständigen Behörden getreten und haben zwei bis drei Tage danach einen Kleinbus eingerichtet, der von Breinig kommend über eine andere Zufahrtsstraße wenigstens in Richtung Zweifall fuhr. Dieses ÖPNV-Angebot ermöglichte den Menschen zumindest zur Lebensmittelversorgung oder zu Umsteigepunkten zu kommen“, erklärt Alexander Carl. Marco Donner ergänzt: „Es war wirklich großer Abstimmungsbedarf notwendig. Auch wenn augenscheinlich Streckenabschnitte als frei deklariert wurden, mussten wir uns trotzdem immer bei der Straßenverkehrsbehörde absichern, ob wir da auch wirklich mit unseren schweren Fahrzeugen fahren können. Außerdem gab es ja auch die Situationen, dass Straßen zwar befahrbar, aber Haltestellen komplett weggespült waren. Dort war es auch nicht so einfach, den Linienverkehr wieder aufzunehmen, weil es keine geeigneten Stellen zum Anhalten gab.“ Ein weiteres Problem, welches die Umsetzung erschwerte: Es gab nur begrenzte Ressourcen. „Wir hätten es gar nicht leisten können, noch zusätzliche Fahrzeuge aus dem Hut zu zaubern, die dann noch andere Fahrpläne gefahren wären. So viel wie möglich musste mit den vorhandenen Mitteln abgedeckt werden“, berichtet Alexander Carl.
Dieser enorme Abstimmungsbedarf begleitet die Teams der beiden noch sehr lange nach der Flutkatastrophe: „Wir haben angefangen, eine Übersicht zu erstellen, damit die Kolleginnen und Kollegen wissen, wo sich welcher Weg in welcher Form verändert hat. Knapp 40 % der Arbeitszeit war man damit beschäftigt, neue Informationen zu sammeln und diese vernünftig umzusetzen. In einem Zeitraum von ungefähr zwei Monaten, mussten wir insgesamt zwölf Aktualisierungen rausschicken“, erklärt Alexander Carl. Bis heute ist ein Teil der Stolberger Innenstadt nicht wieder zu befahren. „Insgesamt haben wir es aber relativ gut geschafft, dass wir den ÖPNV in fast allen Bereichen schnell wieder anbinden konnten. Nach zwei Monaten war es möglich, mit angepassten Umleitungen, quasi auf den Normalverkehr zurückgehen“, hebt Marco Donner hervor. Trotzdem werden die Auswirkungen noch lange zu spüren sein: „Dadurch, dass so viel kaputtgegangen ist, kommt man auch in Zukunft nicht drum rum, mehrere Baustellen auf einer Linienstrecke zu haben. Außerdem gibt es ja auch noch die regulär geplanten Baustellen, die aufgrund der Flutkatastrophe erstmal auf Eis gelegt wurden. Da wird uns sicherlich das Thema Ersatzfahrpläne für bestimmte Linien in der nächsten Zeit begleiten.“
Die Bewohnerinnen und Bewohner mussten mit nackten Füßen und ihrem Rollator durch zwanzig cm hohes Wasser waten.“
Aber nicht nur die zahlreichen To Dos begleiten die beiden bis heute. Es gibt ein Ereignis, welches sich bei Marco Donner besonders eingebrannt hat: „Ich bin damals über die Evakuierung eines Altenheims in Weisweiler informiert worden. Wir haben Busse zur Verfügung gestellt, um die Menschen zu einer trockenen Notunterkunft zu bringen. Die Bewohnerinnen und Bewohner mussten mit nackten Füßen und ihrem Rollator durch zwanzig Zentimeter hohes Wasser waten, um zu unseren Fahrzeugen zu gelangen. Unsere Kollegin, die vor Ort war, hat den Leuten, mit völliger Selbstverständlichkeit, die Füße abgetrocknet, bevor sie in den Bus einstiegen und sich mit vollem Einsatz um sie gekümmert. Einige Zeit später erhielt ich eine Einladung des Seniorenheims, sie wollten ein Dankeschön-Essen veranstalten. Da schickte ich die besagte Kollegin und den Teamleiter, der mit ihr damals vor Ort war, hin, da beide einfach Großes geleistet haben und der Dank eindeutig ihnen galt. So schlimm, wie die Situation an der Stelle auch ist, trotzdem hat es gerade in der schwierigen Zeit aktuell nochmals das Thema Menschlichkeit deutlich unterstrichen.“
Die Erinnerungen und die immense Zerstörung machen auch heute, ein halbes Jahr nach der Katastrophe, traurig und oft fassungslos. Die Katastrophe bleibt spürbar – vor allem natürlich für die betroffenen Menschen, die ihr Zuhause durch die Flut verloren haben. Wir wünschen allen weiterhin viel Kraft und hoffen, dass das Miteinander und der Zusammenhalt nicht weniger wird.