Ein Interview mit Katrin Bünten, Leiterin Tarif, Vertrieb und Einnahmenaufteilung, und Dr. Stefan von der Ruhren, Leiter Digitale Entwicklung und IT-Infrastruktur, Leistungsangebot.


Nachdem der AVV bei der Umsetzung seiner Digitalisierungsstrategie Ende 2017 mit seinem neuen elektronischen Fahrplanauskunftssystem einen wichtigen Meilenstein erreicht hat, darf der Fahrgast sich als Nächstes auf die neue App freuen. Was werden die Vorteile sein?

Dr. Stefan von der Ruhren: Ein wesentlicher Vorteil der App besteht darin, dass sie auch multimodale Auskünfte ermöglicht. Das heißt, der Nutzer kann sich mittels der App nicht nur zu Bus- und Bahnverbindungen informieren, sondern zum Beispiel auch zu Car- oder Bikesharing-Angeboten, um verschiedene Mobilitätsformen optimal miteinander zu verbinden. Darüber hinaus bietet die App einen Pendleralarm, bei dem sich der Nutzer für einen von ihm festgelegten Zeitraum – etwa zwischen 7 und 8 Uhr – im Falle von Verspätungen oder Störungen Pushnachrichten für eine festgelegte Relation, zum Beispiel den täglichen Weg von zu Hause zur Arbeit, senden lassen kann.

In vergleichbarer Weise funktioniert der Verbindungsalarm der neuen App. Hinzu kommt das Echtzeitrouting. Dabei schlägt die App bei Verspätungen und dadurch drohendem Anschlussverlust bei einem Umstieg automatisch eine alternative Verbindung vor. Und auf einer Live-Map kann sich der Nutzer in Echtzeit anzeigen lassen, wo sich Busse und Bahnen gerade befinden.

Andreas Löw, Thomas Reincke, Marius Liebscher, Dr. Stefan von der Ruhren, Katrin Bünten und Daniel Scheen (v. l. n. r.) in der digitalCHURCH Aachen. Aus der ehemaligen Kirche St. Elisabeth wurde 2017 der bundesweit erste CoWorking Space in einem Kirchenschiff.

Wird mit der neuen App auch die Möglichkeit bestehen, direkt in der App Tickets zu erwerben?

Dr. Stefan von der Ruhren: Ab kommendem Jahr wird dies möglich sein. Zum Start muss sich die App noch auf die Fahrplanauskunft beschränken. Der Grund dafür sind derzeit noch unterschiedliche Systeme für Fahrplanauskunft und Ticketverkauf. Selbstverständlich aber ist eine Verknüpfung der beiden Systeme, also die Integration des Ticketings in die neue App, bereits vorgesehen. Diese Anforderung stellt der Fahrgast ja berechtigterweise an ein modernes Auskunfts- und Vertriebssystem.

Warum werden die neue App und der Ticketkauf nicht gleichzeitig umgesetzt?

Katrin Bünten: Dies liegt vor allem daran, dass der digitale Vertrieb in Zukunft über die verbundweite Zentrale Vertriebsplattform (ZVP) erfolgen wird – also im Hintergrund ein anderes System als die Fahrplanauskunft läuft. Zukünftig werden alle Systeme jedoch über die ZVP miteinander vernetzt, so dass es sich aus Fahrgastsicht um ein zentrales System handelt. Daher erfolgt auch eine intensive Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen den beiden Abteilungen. Für die ZVP hat der AVV mit den Verkehrsunternehmen in den vergangenen Jahren ein gemeinsames Konzept entwickelt. Bei dieser sehr intensiven Konzeption fungierte der AVV als zentraler Koordinator insbesondere mit dem Ziel, einheitliche Vertriebsstandards im gesamten Verbundgebiet zu erreichen.

Im Fokus der ZVP und damit des Online- und mobilen Vertriebs steht ganz klar der Kundennutzen und Servicegedanke. Durch die Berücksichtigung innovativer technischer Ansätze wie Account-based Ticketing wird zum einen die Zukunftsfähigkeit gesichert und zum anderen ein sichtbarer Mehrwert für den Fahrgast geschaffen. Er erhält mit einer einmaligen Registrierung einen zentralen Zugang zu unterschiedlichen Mobilitätsangeboten in der Region – verbundübergreifend und grenzüberschreitend. Zudem umfasst das Konzept der ZVP auch die perspektivische Umsetzung eines eTarifs sowie diverse Selfservices, durch die zukünftig die eigenständige Aboverwaltung durch den Fahrgast ermöglicht wird. Zu beachten war dabei stets, dass alle Anforderungen der Digitalisierungsoffensive NRW erfüllt werden. Derzeit befinden wir uns im Aufbau dieser Plattform. Dies geschieht, bedingt durch die unterschiedlichen Systemhersteller, zeitversetzt. Dennoch werden letztlich sowohl Fahrplaninfo als auch AVV-App integriert.

Was ändert sich damit im kommenden Jahr zunächst für den Fahrgast?

Katrin Bünten: Bei der Realisierung der ZVP soll der erste Schritt im ersten Halbjahr 2020 abgeschlossen sein. Ab dann wird der Fahrgast die Möglichkeit erhalten, sich über die App zu den ÖPNV-Tickets zu informieren und sie direkt zu buchen. Information, Vertrieb und Abrechnung erfolgen somit aus einer Hand.

Dass so ein komplexes System schrittweise umgesetzt wird, ist deutlich geworden. Welche Umsetzungsschritte sind geplant?

Katrin Bünten: Die Komplexität des Systems und die Entwicklung innovativer Systeme und Softwarelösungen machten neue Ansätze der Projektumsetzung erforderlich. Im Sinne eines agilen Vorgehens war dies nur stufenweise möglich. Nach der ersten Umsetzungsstufe, die voraussichtlich im ersten Halbjahr 2020 beendet sein wird, sollen zeitnah Stufe 2 und 3 folgen. Stufe 2 der Umsetzung sieht für ABO-Kunden die Möglichkeit zur Selbstverwaltung vor. Im Mittelpunkt stehen dabei maßgeschneiderte Lösungen für die verschiedenen Nutzergruppen, also zum Beispiel für Schüler, Studierende oder Firmen. In der zweiten Umsetzungsstufe sollen überdies die technischen Voraussetzungen zur Einführung eines eTarifs geschaffen werden. In Stufe 3 der Umsetzung ist dann die Erweiterung der Vertriebsplattform hin zu einer Mobilitätsplattform geplant. Sie ermöglicht dann die Information, Buchung, Nutzung und Abrechnung von ÖPNV, Car- und Bikesharing und weiteren Mobilitätsangeboten aus einer Hand bzw. über eine App.

Wie sieht die Weiterentwicklung des Auskunfts- und Vertriebssystems aus?

Dr. Stefan von der Ruhren: Gedacht ist hier unter anderem an barrierefreies Routing in der Auskunft für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste, die Integration des Status der Aufzüge oder auch der Belegung von Fahrradboxen mit direkter Buchungsmöglichkeit. Zudem soll das System in Zukunft auch weitere individualisierte Informationen zur Verfügung stellen. Dazu gehört etwa das „Navigate“, also die kontinuierliche Navigation bzw. Führung des Fahrgastes während seiner Fahrt – selbstverständlich unter Berücksichtigung von Ist-Daten, also von Ausfällen und Verspätungen.

Katrin Bünten: Im Rahmen der Weiterentwicklung des Auskunfts- und Vertriebssystems ist überdies die nahtlose Vernetzung zwischen Information, Buchung, Nutzung und Abrechnung von verschiedenen Mobilitätsformen zu realisieren. Und was heute immer wichtiger wird: Dies muss auch über die nationalen und Verbundraumgrenzen funktionieren. Auf diese Weise fällt für den Fahrgast auch die bisherige Tarif- und Vertriebskomplexität weg, was zugleich eine Verringerung der Zugangsbarrieren bedeutet.

Wie wichtig ist der Datenschutz für den AVV?

Katrin Bünten: Der Datenschutz ist für den AVV ein zentrales Thema und hat insbesondere bei der Umsetzung unserer Digitalisierungsstrategie stets hohe Priorität. Deshalb arbeiten wir eng mit den Datenschutzvertretern der Verkehrsunternehmen und der AVV GmbH sowie mit dem Landesdatenschutz NRW und dem Datenschutzbeauftragten des Kompetenzcenters Digitalisierung in NRW zusammen und stimmen uns in allen Fragen der Digitalisierung kontinuierlich mit ihnen ab.